NEUE WEGE

Mai 2018

Liebe Freunde und Freundinnen,

es erreichten mich doch etliche Fragen, ob das stimmt, dass ich zum Jahresende meine Tätigkeit als Bühnenmusikern aufgebe und ich wollte dazu etwas schreiben

.
Zunächst einmal : Ja, es stimmt ! Mit dem Ende diesen Jahres plane ich keine neuen Auftritte mehr und werde mich von den Club - bzw Hauskonzertbühnen zurückziehen.

 

 

Das hat mehrere Gründe.

 

Der Wesentlichste ist für mich der momentane "Notstand" was die deutsche Musik - bzw Liveszene angeht. Ihr habt es ja beim Echo Eklat auch in den Medien gehört bzw gesehen : In dieser gesamten Branche läuft seit etlichen Jahren einiges schief.


Von den durchweg schlechteren Chancen als weibliche Musikschaffende mal abgesehen: Immer die gleichen Musiker bekommen auf den wenigen medialen Plattformen eine Chance, vom Publikum wahrgenommen zu werden. Und das hat mit künstlerischer Qualität oft überhaupt nichts zu tun. Wer Beziehungen hat, bekommt Chancen. Es wird geschachert und gemanaged, was das Zeug hält. Was jetzt überhaupt nicht heißt, dass ich alles, was erfolgreich ist, schlecht finde.

Im Gegenteil.

 

Es ist nur leider so, dass der ganze, oftmals künstlerisch viel wertvollere "Rest"  - mehr oder weniger - in die Röhre schaut. Eine Branche ohne Arbeitsschutzgesetze, ohne Gewerkschaft, ohne Tarifvereinbarungen, ohne jede Absicherung.


Deshalb  sind die Bandagen, mit denen derzeit im Livegeschäft um Auftrittsmöglichkeiten gekämpft wird sehr hart und die Masse an Musikern, die live spielen möchte (3 Generationen derzeit aktiv unterwegs !!!) ist sehr groß geworden. Ein Grund dafür ist sicher, dass durch die eingebrochenen CD Verkäufe das Live spielen die einzige noch existente Einnahmequelle für Musiker ist.  Und deshalb ist das Musikgeschäft in den vergangenen 2, 3 Jahren zum Teil so absurd geworden,  dass ich manchmal nicht fassen konnte, was eigentlich los ist.


Sicher, in jedem Job gibt es mal Tage, wo es keinen wirklichen Spaß macht und trotzdem macht man weiter. Das habe ich auch gemacht. Weil auch immer wieder gute Zeiten kommen. Weil man zwischen allen Schwierigkeiten immer wieder tolle Sachen erlebt. Super nette Menschen trifft, alles bestens läuft. Sich Leute reinhängen, damit ein Konzert zustande kommt. Veranstalter, die ihre Künstler zu schätzen wissen und dementsprechend behandeln.


Doch es gibt eben auch die andere Seite: Und gerade das Konzerte spielen mit dem stundenlangen Autofahren und dem heimatlosen herumsitzen in  Garderoben und Backstages, manchmal nicht so tollen Hotelzimmern (oft aber auch ganz tolle ), verlangt der Psyche wirklich einiges ab. Da muss man schon stark sein. Ein Kollege sagte neulich in einem Radiointerview, dass aus seiner Sicht der Job als Singer-Songwriter ein sehr einsamer ist. Und ich teile diese Meinung.

 

Nicht umsonst sind viele Musikschaffende im Laufe ihrer Karriere irgendwie Drogen-, Erfolgs- oder Alkoholsüchtig geworden (oder alles zusammen). Wahrscheinlich, weil es mit etwas "Stoff" etwas leichter ist, diesen Spagat im Kopf zu verkraften.


Den Spagat zwischen der eigenen Identität, des privaten Menschen mit all seinen Ängsten, Nöten und Unsicherheiten, dem hohen Anspruch an sich selbst, dem man kaum gerecht wird  und dem, was man auf der Bühne am Abend dem Publikum präsentiert.

 

Oft liegen wirklich Welten dazwischen.


Etliche  Jahre habe ich das nun mitgemacht. Ich habe versucht, so gut ich konnte,  mitzuhalten, ein dickeres Fell zu bekommen, es sehr professionell  zu betrachten. Mich besser zu organisieren, weiterzuentwickeln. Am Instrument besser zu werden, aus dem Glauben heraus, dass sich Qualität und Beharrlichkeit am Ende durchsetzt. Habe alte oder neue Buisenesskontakte zu halten oder zu knüpfen versucht. Versucht, meine Ansprüche herunterzuschrauben. Es zu nehmen, wie es ist.

 

Oder am Besten eben nur das Postive zu sehen.


Aber es ging auf Dauer nicht.


Es fühlte sich für mich in den letzten Monaten so an, als wenn all meine kostbare Zeit und Energie in Lichtgeschwindigkeit in einem schwarzen Loch verschwindet. Ein Loch so schwarz wie das Ende der Galaxie. Und dieses Verschwinden meiner Energie gab mir das Gefühl, dass all mein Talent, all meine Bemühungen, all das, worauf ich meine Werte baue,  letztlich nichts mehr wert sind.


Was mich dazu bringt, zu sagen : "Ich möchte diesen Beruf so nicht mehr ausüben. " sind die endlosen Stunden am PC, in denen ich zum Beispiel hunderte Mails an Konzertveranstalter schicke, auf die dann noch nicht mal eine Antwort kommt. Es sind die immer schlechter werdenden Konditionen, die Künstlern für das Livespielen hinnehmen sollen. Und wenn ich es nicht mache, machen es garantiert 20 andere. Für ein warmes Essen spielen. Für einen Hut voller Spenden spielen, alles auf eigenes Risiko. Natürlich ist es nicht immer so, ich habe auf Grund meines Werdegangs noch das Glück, meistenteils zu guten Konditionen aufzutreten, aber die Tendenz ist eindeutig.

Es ist so ein Fass ohne Boden, in dem man sitzt und versucht, nicht unterzugehen. Und die Kollegen, mit denen ich darüber spreche, bestätigen mir das auch.

 

Manche haben schon aufgegeben.


Was mich dazu bringt, einen neuen Weg zu gehen, ist das von Veranstaltern monatelang hingehalten werden und dann passiert doch nichts.

Das am -wörtlich- : "Marktwert gemessen " werden. Als sei ich ein Produkt. Und das in meinem Alter !

Das Respektlose.

Das unausgesprochene, aber ganz klar existente : "Gefällt mir ganz gut, was Du machst, aber ich nehm´ dann  doch lieber eine 30 Jährige mit langen Haaren und kurzem Rock, irgendwas mit Country. Da kommen dann wahrscheinlich mehr Besucher zum Konzert."  Und genau dieses immer gleiche Bild von einer Musikerin sieht man dann im Programmhinweis des Veranstaltungsortes,  in regelmäßigen Abständen, über das Jahr verteilt, mit dementsprechenden Pressefotos. Für mich ist aber kein Platz.

Das ist deprimierend und macht mich ungeheuer wütend.


Es sind die so gut wie vergeblichen Bemühungen, im Radio stattzufinden, obwohl meine Songs wirklich gut sind.


Es sind die an sich unerträglichen Leute,  zu denen man nett ist, um es sich nicht ganz mit der Musikindustrie zu verscherzen. Es ist der Abscheu, den ich mir selbst gegenüber empfinde, wenn ich jemandem, von dem ich genau weiß, das er oder sie sein Publikum belügt, meine Meinung nicht offen gesagt habe, weil ich die Konfrontation gescheut habe.


Sie glauben gar nicht, wie viele "Barden" von sozialer Gerechtigkeit und der inneren Erleuchtung singen und in Wirklichkeit abgezockte Egomanen sind, die sich für wirklich nichts anderes als ihren eigenen Vorteil interessieren. Man erkennt sie im übrigen auch daran, dass sie manchmal von sich selbst in der dritten Person sprechen. Und diese Leute bekommen dann Preise, Airplay, Anerkennung, was weiß ich.


Ich bin zur Jahreswende davon nicht nur seelisch, sondern letztlich auch körperlich krank geworden. 

 

Das hat mich dann letztlich aufhorchen lassen, war so ein Wendepunkt. Denn wenn man, vor allem als Mutter,  nicht mehr alleine zur Toilette kommt, ist das wirklich beängstigend.


Es ging mir dann, nachdem mir langsam dämmerte, dass ich wirklich etwas ändern muss, um aus dieser Lage heraus zu kommen, rasch besser. Niemand anderes würde die Antwort in einem goldenen Umschlag an meiner Haustür abgeben. Die Lösung  lag in mir selbst.


Auch wenn es mir in den ersten Wochen sehr fremd vorkam : 


So lange hatte ich mich mit dem Musikerin sein zu 100 % identifiziert. All die Schwierigkeiten, die ich mit der Musikbranche und meiner Identität als Musikerin habe, habe ich eben irgendwie versucht, im Zaum zu halten oder als "notwendiges Übel" zu akzeptieren. All die verpassten Chancen meiner Musikerlaufbahn, für die ich mir selbst die Schuld gab, die Respektlosigkeiten von Leuten, denen ich ausgesetzt war, weil sie die Macht hatten, so mit mir umzugehen,  ratterten Monate lang , auch Nachts in meinen Träumen, in meinem Kopf an mir vorbei. Wieder und wieder. Ich wachte nachts auf und weinte.  Hättest du dummes Huhn  in der und der Situation besser das und das gemacht, dann wärst du jetzt da und da.

 

Gegrapsche an Po und Busen vom Veranstalter auf dem Weg zu Bühne (!), Beschimpfungen unter der Gürtellinie von total betrunkenen Studiobesitzern, ganz zu schweigen von dem "Geschäftspartner", der mich behandelte wie ein Stück Dreck, nachdem der Vertrag unterschrieben war, ich aber keine Beziehung mit ihm eingehen wollte.

 

Ich habe das alles stillschweigend hingenommen. Die Schuld bei mir gesucht. So ist die Branche eben, ein Haifischbecken, das weiß ja jeder. Und jeder, der sich hineinbegibt, ist es eben selber Schuld, wenn er zerrissen wird. Krasse Enttäuschungen von Leuten, die ich seit 20 Jahren kenne, und die mir so nahe gingen, dass ich dachte  " Das darf einfach nicht wahr sein. "

 

All das arbeitet in mir und ich weiß : ich werde noch einige Monate brauchen, in denen ich einfach nur Zeit für mich habe und mich neu kennenlerne.

 

Herausfinde, was ich eigentlich möchte.


Ich kann mir  eine Auszeit nehmen und werde das auch machen.  Bis ich weiß, wohin mich der Weg führt. Ich möchte eine Zeit lang sagen dürfen : Ich muss jetzt nichts leisten, ich bin einfach nur da."

 

Einige fragten : "Kannst du denn nicht die Live Musik etwas herunterfahren und parallel etwas anderes machen ?

 

Und ich muss sagen : Nein, das kann ich nicht.


Es ist eine grundsätzliche Entscheidung. Entweder ich lebe im privaten oder im öffentlichen. Entweder ich bin Berufsmusikerin und packe alle paar Tage das Auto, um loszufahren, oder ich bin es nicht.


Es waren viele unfassbar schöne Momente, Begegnungen und Konzerte dabei in den vergangen Jahren und ich habe es als Privileg empfunden, mich selbst auf diese Weise entfalten und auszuloten zu können. Meine stets präsenten Ängste zu überwinden. Getragen werden vom Publikum, es gibt nichts vergleichbares. Aber die Zeit ist nun reif um einen anderen Weg zu gehen.


Ich habe die aktuellen Gegebenheiten der Musikszene nicht gemacht und ich werde sie auch nicht ändern können. Es ist einfach der Lauf der Zeit.  Die Abgestumpftheit, die ich persönlich (und ich spreche da nur von mir selbst ) als Musikerin  heute  an den Tag legen muss,  um in dieser "Kulturlandschaft" weiter zu bestehen, sie ist für mich einfach nicht mehr akzeptabel, denn sie ist mein innerer Tod. 

 

Ich kann und möchte das nicht mehr in meinem Leben haben.

 

Sicher werde ich Zeiten erleben, in denen mir klar  wird, was ich selbst ändern kann und muss. Nicht die anderen.
Ich werde meine Schlüsse daraus ziehen.


Ich möchte, wie früher, als ich  14 Jahre alt war und begann, Songs von Paul Simon zu lernen, die mein Rettungsanker in einem Meer der Verzweiflung waren, den Spirit diese Zeit spüren.

 

Diese Zeit, dieses Songwriting, aus der meiner Meinung nach alle, die heute mit einer Gitarre auf der Bühne stehen, ja letztlich kommen. Nur scheinen das viele - und zum Teil sogar ich selbst -  doch irgendwie, irgendwo auf dem Weg  vergessen zu haben.


Vergessen, worum es bei dieser Singer - Songwriting Sache eigentlich geht.


Ich will das aber nicht vergessen.

 

Weil ich Verantwortung habe, wenn ich mir meine Gitarre um den Bauch hänge und von inneren Einsichten singe. Mit selbst gegenüber.

Der Kunst gegenüber.

Meinem Publikum gegenüber.


Und bevor ich wirklich zu alt bin, um etwas Neues zu beginnen und bevor  all die Freude an meiner Musik oder, noch schlimmer, der von Paul Simon oder David Bowie, verliere, möchte ich sie für einige Zeit in ein ruhiges, sonniges Zimmer legen und ihr den Raum geben, zu genesen.


Besser kann ich im Augenblick nicht in Worte fassen.

Und ich bedanke mich bei allen Menschen, die gut zu mir waren und mich unterstützt haben. Die mir schrieben, wie wichtig ihnen meine Musik ist. Das ihnen meine Texte viel bedeuten. Das hat mir unheimlich viel Kraft gegeben und bedeutet mir sehr viel. Auch für konstruktive Kritik , die mich weiter gebracht hat, bedanke ich mich, denn sie ist immer Gold wert.


Denen, die mich  belogen, betrogen, ausgenutzt, ausgegrenzt,  herablassend behandelt, belästigt, klein gehalten, über mich geurteilt, hinter meinem Rücken Unwahrheiten über mich verbreitet haben, weil sie glaubten, sie könnten sich das erlauben, sage ich heute :


Ihr könnt mich mal.


Es gibt Besseres, was ich mit meinem Leben anfangen kann.

 

 

Und das werde ich machen.

Subtext und Standing Ovations

29.11.2018

Ich weiß nicht, wieviele Setlisten ich in den vergangenen 20 Jahren geschrieben habe, bestimmt an die 350 Stück.  Meist mit Edding auf Schreibmaschinenpapier, in Schulhefte, auf Kopierpapier oder dem, was eben gerade da war.

 

Die Leute, die Konzerte mit mir veranstaltet haben, haben es hinter den Kulissen miterlebt: In den letzten 45 Minuten vor dem Auftritt, wenn ich gedanklich längst "im Tunnel" und kaum noch ansprechbar war, zog ich mich mit den Worten

"Ich muss noch meine Setliste schreiben."

in Garderoben und Kinderzimmer, hinter provisorische Vorhänge, zwischen  Getränkekisten, Übungsköpfe für angehende FriseurInnen und/oder Kartonstapel zurück.


Es gehörte für mich dazu wie das Bühnenmake up, das Wechseln  von Straßen- auf Konzertkleidung und das Zuziehen der Reißverschlüsse an meinen Auftrittsschuhen, kurz bevor es losging.


Wenn ich mit meiner Setliste in der einen und der Gitarre in der anderen Hand die Bühne betrat, war ich die Katja, die das Publikum kennt.

Mein privates ich ließ ich bei meinem Notizmäppchen, den Wegbeschreibungen für die Fahrt zum nächsten Gig, Kassenzetteln (die ich alle  aufbewahre), einem halb getrunkenen Kaffee und meinen ausgelatschten Turnschuhen, die ich zum Autofahren benutze,  in der Garderobe.

Bei den Gitarrencases und Koffern, in denen ich mein Equipment von einem Ort zum anderen transportiere, die Behältnisse, die unterwegs mein Möbiliar, meine Heimat sind.

 
Bis kurz vor dem Auftritt wußte ich nie genau, wie die Songreihenfolge sein würde. Und diese unfreiwillige Unsicherheit gab mir einen weiteren thrill, den kick, den ich brauchte, um aus meinem Lampenfieber, das mich sonst zu ersticken drohte und mir oftmals schon nach dem Frühstück begann, den Hals zuzuschnüren, aufzuwachen.

Ein Mittel gegen das lähmende Schlangengift. 

Ich habe es in 20 Jahren wirklich kein einziges Mal fertig gebracht, eine Setliste  auf Tage  im vorraus anzufertigen und diese dann, so wie es alle anderen Kollegen und Kolleginnen machen,  einfach mitzunehmen. Ordentlich am Computer geschrieben und ausgedruckt, leserlich, für jeden verständlich und für die kommenden drei Monate gültig. 


Ich war mir nie sicher ob die Wahl, die ich getroffen hatte, auch die richtige war. Also musste ich sie immer wieder überprüfen. Daß ich am Abend zuvor Standing Ovations im laufenden Programm bekommen hatte, spielte am nächsten Tag keine Rolle mehr.


Jeden, wirklich jeden Abend saß ich wieder irgendwo in der Diaspora des Backstages, einen Edding in der Hand und eine Horde wildgewordener Ameisen im Kopf, die mir nach und nach alles, was ich gelernt hatte - Akkorde, Songtexte, Übergänge - einfach Bröckchen für Bröckchen aus den Gehirnwindungen schleppte und ich versuchte, mit der Songreihenfolge einen zusammenhängenden Bogen über diesen einen Tag und Abend  zu spannen.

 

So wie in meinem echten Leben.


Meine Aufzeichnungen hatten eine eigene Sprache entwickelt, mit verschiedenen Abkürzungen für Tunings, Kapodasterstellungen, sowie der zu - oder abgeschalteten  Effekte und ich habe keine einzige Liste auch nur ein einziges  Mal wieder benutzt.


An etlichen Abenden nahmen Konzertgäste die Setliste, wohl auch weil sie handschriftlich und mit oben genannten Besonderheiten angefertigt war, als Andenken mit nach Hause. Die meisten fragten, ob sie sie haben dürften und manche wollte sogar ein Autogramm darauf. Zwei oder dreimal nahm jemand aus der ersten Reihe sie einfach mit. Das war weniger schön, denn so hatte ich keinen Anhaltspunkt, an dem ich mich für den nächsten Abend entlanghangeln konnte und mußte sozusagen ein Gedächtnisprotokoll erstellen.


Aber woher sollten das die Leute auch wissen.


Es gab einige feste Größen im Programm, Songs, die an  der immer gleichen Stelle standen, wie zum Beispiel seit Jahren  "Crossfire" als erstes Stück. Das gab mir Sicherheit, obschon Crossfire bei weitem nicht der eingängigste Song ist. Deshalb überlegte ich oft, den opener zu ändern, machte es aber nicht. Statt dessen hielt ich mich an Crossfire fest wie ein Kind an der Hand seiner Mutter.


Dazwischen war alles ständig in Bewegung, tauschte ich Lieder und Ansagen - mal mehr, mal weniger überlegt - hin und her, ging auf Publikumswünsche ein (soweit ich dazu in der Lage war), nahm neue Songs ins Programm und warf andere heraus.


Ich versuchte, eine Balance zu schaffen zwischen neuem und 1000 mal geübtem, die Puzzleteile zusammenzubekommen, einen Bogen zu spannen, einen sinnvollen Übergang zu finden zwischen schnellem und langsamen, gezupftem und gestrummtem, lautem und leisem, lustigem und weniger lustigem, altem und neuen. 

 

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.


Hätte ich alle meine Setlisten aufbewahrt, was ich mir nun, so kurz vor dem letzten Auftritt sehr wünsche, könnte ich daraus eine Kunstinstallation machen, indem ich meine Wände damit tapeziere und aus den einzelnen Fragmenten, den teils zerknitterten Blättern aus mehreren Dekaden ein neues großes Ganzes kreiere.

Es wäre ein Kunstwerk, wie ich es wirklich mag: Ein schrulliges, in sich verschlossenes Monument aus  verschiedenen Schriften, Farben und Papieren - ein Flickenteppich, eine Patchworkdecke aus Orten, Tagen und Wegen, die ich dafür zurück gelegt habe. Dinge und Begegnungen, die irgendwo und irgendwie stattgefunden und mein Leben geprägt haben.


Ich wünschte, ich hätte diesen dicken Stapel von zum Teil unleserlich bekritzelten Blättern noch, hätte sie geduldig gesammelt, wie die Fahr- und Eintrittskarten und Schnipsel aus Kirchen, Museen  und Läden, die von meinen diversen Reisen in Tagebüchern liegen, aber leider habe ich nur noch die letzte Songfolge  - bezeichnender Weise in goldener Schrift, weil der schwarze Edding am betreffenden Abend in den Tiefen meiner stets etwas chaotischen kleinen Lederumhängetasche abgetaucht war.


Der Rest ist Erinnerung.


Erinnerung an die Autobahn, die endlos an mir vorbeifliegt. Wenn ich sehr viel gefahren war, auch Nachts im Schlaf. Erinnerung an die Zeit, in der ich noch mit dem Zug und einer Gitarre unterwegs war, weil ich diese Autobahnphobie hatte und es nicht mal über die Auffahrt der A52 Richtung Düsseldorf schaffte.


Und an die Zeit, in der ich noch gar keinen Führerschein hatte. Damals, in Hamburg, kurz bevor ich meinen ersten großen Plattenvertrag unterschrieb, zog ich einmal mit einem Einkaufswagen vom Supermarkt um, weil ich weder Auto noch Führerschein hatte und auch niemanden, der mir beim Umzug half. 


Wie die Wohnungslosen, die all ihr Hab und Gut in einer rostigen Discounterkarre zusammen stapeln und damit den Rest ihres Lebens durch die Stadt ziehen, wechselte ich meinen Wohnsitz (Von Altona, wo ich zur Untermiete direkt gegenüber der "Fabrik" wohnte, nach Ottensen in eine eigene Altbauwohnung. Hier entstanden dann fast alle Songs meines Albums "contact myself") indem ich, bekleidet in einem 30 Jahre alten, viel zu großen Männerparka, den mir der Freund meiner Mutter überlassen hatte, drei, viermal den vollgepackten  Wagen quer durch zwei Stadtviertel schob.

 

Ich stemmte mich mit hochgeklapptem Mantelkragen gegen den Sprühregen und den Dreck, den die vorbei fahrenden Autos verspritzten, während die Plattenfirma für 5000 Mark einen "Beautyshot"  in Ballkleidern aus pinkfarbener und schwarzer Seide, Make-up Artist und Garderobiere beim teuersten Fotografen der Branche für mich organisierte, um mit diesen Pressefotos mein dementsprechendes Image zu kreieren.

 

Jemand soll eines Tages bei mir vorbeikommen und mir erklären, wie diese Diskrepanz in meinem Kopf jemals mit sich selbst Frieden schließen soll.


Hinein gestolpert bin ich in dieses Leben als Liedermacherin - obgleich meine allererste künstlerische Liebe dem Schreiben und der Malerei galt - aus einer unbeschreiblichen Hölle der Verzweiflung, für die ich bis heute eigentlich keine richtigen Worte finde. Ich zog als junge Frau mit meiner Gitarre durch die Straßen der Stadt und alles, wirklich alles, was ich hatte, war diese Gitarre, ein paar Songideen und den festen Glauben im Herzen, es eines Tages zu schaffen - obwohl  alles, was mein damaliges Leben ausmachte, das Gegenteil sagte. 


Wäre es nach dem, was "normal " ist gegangen, wäre ich schon vor 30 Jahren und seitdem mehrere Male abgesoffen, übergeschnappt  und zerbrochen. Nichts von dem, was im Laufe meines Lebens durch meine Hände und meine Kehle den Weg in diese Welt gefunden hat, hätte es gegeben. Gar nichts.

Kein Lied, keinen Text, kein Bild. Alles wäre gestorben, noch bevor irgendjemand an irgendeiner Ecke irgendetwas von mir gesehen hätte.


Aber es ist anders gekommen. Meine Gitarre, mein Schreiben, mein Singen hat mich im Leben gehalten und verwandelt.


Damals, heute und morgen.


Hat mir den Hintern und den Kopf gerettet, meine Miete gezahlt, den Kühlschrank gefüllt, meinen Tag begleitet und Verluste, die ich eigentlich nicht verkraften konnte, erträglicher gemacht.
Mir meine Identität gegeben, auch wenn diese stets und zuverlässig bröckelte. Und selbst dieses zerfledderte Verständnis von mir selbst war wieder Stoff für neue Songs.

 

So befand ich mich im viel zitierten ständigen Kreislauf der Dinge.


Selten war ich mir mit irgendetwas sicher. Noch weniger wusste ich, wer ich eigentlich sein wollte. Die Frau auf dem Hochglanzfoto? Bin ich nicht. Die Sängerin auf der Bühne? Ich wußte es an vielen Tagen nicht.

Aber ich hatte dieses untrügliche Gespür dafür, wenn etwas gut ist. Dieser Moment, wenn du den roten Faden hast, den Flow, wenn du an etwas arbeitest und spürst

"Oh,wow. Prima. Ja, das ist es."


Mein Leben lang hatte ich Probleme, meinen Lebensrhythmus zu finden, fühlte mich entweder ferngesteuert oder ziel und planlos - obwohl mein Timing und meine Intonation wirklich gut sind. Hatte Scheu, angefangenes zu beenden, aus der Sorge heraus, etwas falsch zu machen.


Aber meine Lieder hatten einen Anfang und ein Ende und ich wusste immer genau, wann sie vollendet waren. Dann legte ich den Stift weg, so wie den Pinsel, wenn das Bild fertig gemalt ist. Während ich bei keinem einzigen Pullover, den ich begonnen hatte, zu stricken, über das Vorderteil hinaus kam, alles dauernd in Bewegung war, schrieb ich einen Song nach dem anderen und manche - nicht alle - sind richtig gut geworden.


Das Finden von Worten war das, was mir dabei den meisten Spaß machte. Wenn die Worte sich, irgendwo aus meinem inneren heraus,  auf diese wundersame Weise zusammenfügten zu Strophen, Refrains, C-Teilen, Synonymen, ganzen oder halben Reimen, dann, ja, dann ergab alles einen Sinn, war die Welt für mich für diese kurze Zeit in Ordnung.

 

So lebte ich mein Leben, Jahr um Jahr. Überwand den Umzug mit Einkaufswagen, die Autobahnphobie und meinen zugeschnürten Hals, wenn ich auf die Bühne sollte.


Vor einigen Tagen in Göttingen, ausgerechnet bei einem meiner letzten Konzerte steht  dann jemand vor mir, grau und dünn wie ein abgebrochener Zweig im Wind.


Jemand von dem ich augenblicklich weiß, daß ich ihn kenne, aber ich komme nicht darauf.
Einen Moment  lang denke ich, es ist eine von diesen Begegnungen, die ich öfter habe, weil ich nur alle 2, 3 Jahre mal für einen Auftritt  in der Stadt bin und die Person auch nur von einem Konzert her kenne. Und mich dann natürlich nicht immer gleich an jeden oder jede erinnere, das ist ganz normal.


Aber hier liegt die Sache anders. Wenige Sekunden später, als die Person, die mich nun auf so eine unverstellte Art und Weise, wie es wohl nur Menschen tun, die wirklich nichts mehr zu verlieren haben, anspricht, weiß ich auch, warum.


"Katja, ich bin vor kurzem aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen worden und bin zu deinem Konzert gekommen, um dir etwas zu sagen."

Der Mann schluckt deutlich hör- und sichtbar zwischen den einzelnen Satzteilen. Jedoch ist es kein emotionales, sondern ein eher trainiertes Schlucken, als müsse er das machen, um "technisch" überhaupt sprechen zu können. Vom Ohrläppchen bis fast zum Schlüsselbein hat er eine lange Narbe, die wie ein Wollfaden der Stärke 6  seinen Hals hinab rinnt .

"Ich wollte dir sagen, dass mich deine Musik gerettet hat. In den letzten Wochen habe ich nur deine Lieder gehört.  Chemo, Op, Bestrahlung."


Jetzt schlucke ich. Es sind diese Momente, in denen der Subtext, die eigentliche Nachricht des Tages oder vielleicht sogar eines ganzen Jahrzehntes unmissverständlich an mich herantritt.


"Paul." sage ich fassungslos. "Mensch Paul,  du bist es. Ich hab´ dich nicht erkannt."

Er hat an die 30 Kilo abgenommen,  ist unrasiert und vor wenigen Wochen aus der Uniklinik Göttingen entlassen worden, in der er auf neonbeleuchteten Behandlungstischen und in irgendeinem Zimmer um sein Leben gekämpft hat. 


Paul, an den ich mich als einen Berg von einem Mann errinnere, hat vor etlichen Jahren eines meiner ersten Hauskonzerte organisiert. Ich musste, nachdem mich mein damaliges Plattenlabel EMI zwei Werktage nach der Veröffentlichung meines Albums  "Dakota" gedropped hatte

(zum einen weigerte ich mich, mit "You take me away", dem einzigen Lied des Albums, das nicht von mir war (und für das ich mich insgeheim schämte), das aber als Titelsong der Parship Werbung im Fernsehen rauf und runter lief und somit zu Single auserkoren war, im "ZDF-Fernsehgarten" aufzutreten - zum anderen blieben die Verkaufszahlen des Albums "weit hinter den Erwartungen zurück". Dieses wurde mir Dienstags mitgeteilt, nachdem ich bei 40 Grad im Schatten mit dem Zug zu Interviews in die Räumlichkeiten des Labels nach Köln gefahren war.

Am Freitag davor war Dakota erschienen, anders gesagt, um die Verkaufserwartungen zu erfüllen, hatte mein Album genau zwei Werktage, an denen die Läden geöffnet hatten, Zeit - eine ziemlich kurze Gnadenfrist, wie ich finde.

In den Fahrstuhl zur Etage, wo die Interviews stattfinden sollten,  stieg jemand ein, den ich nicht kannte und von dem ich bis zum Schluß glaubte, er sei ein Journalist.

Er stellte sich wenig später aber als Chef der ganzen Plattenfirma heraus und teilte mir in einer Art Predigt, die er mir zu Ehren im Beisein meiner Produktmanagerin Gertrud hielt, mit, dass die Zeiten (er meinte die 70 iger Jahre, wie ich später verstand) in denen Künstlerinnen wie ich (aus meinem Genre und in meinem Alter) ewig Zeit hätten, um sich zu entwickeln (er meinte 2 oder 3 Alben, bis sich der - im günstigsten Falle weltweite - Erfolg einstellt) ja lange vorbei seien. Dann stand er einfach auf und ging.

Ich brauchte eine längere Zeit, um zu verstehen, was er eigentlich gesagt hatte und musste danach noch mehrere Telefoninterwievs führen.) 

quasi von Null anfangen, denn mit den Majorlabels, Plattenvorschüssen und Bandkonzerten war es nun erst einmal vorbei und mit Solokonzerten über eine Länge von 90 Minuten hatte ich überhaupt keine Erfahrung.

Ich musste aber weiter machen, also hangelte ich mich durch, von einem Auftritt zum anderen.

Probierte, verwarf, entwickelte, schraubte mich rein.


Paul war einer der ersten, der so ein Solokonzert mit mir auf die Beine stellte und verlegte meinen Auftritt wegen des schönen Wetters kurzerhand in den Garten. Ein Abend, an dem nur eine Hand voller Gäste  anwesend war, darunter sinniger Weise auch der Organisator des Auftrittes, den ich in Göttingen gerade zu Ende gebracht habe.


Paul holte mich damals vom Bahnhof ab und brachte mich auch wieder hin. In seinem Auto kamen wir ins Gespräch an diesem so schönen Sommertag, über das Ruhrgebiet, aus dem er auch stammt, schwierige Kindheiten und Alkoholmißbrauch, während die Bäume der Alleen, die an uns vorbeihuschten, in vollem Blätterkleid vor einem knallblauen Himmel um die Wette strahlten.


Jetzt, etliche Jahre später stehen wir auf dieser kleinen Treppe in einer Buchhandlung in Göttingen.


 "Mensch Paul, so eine Scheiße." höre ich mich sagen.


Es kommt wirklich nicht sehr oft vor, dass ich von mir aus Körperkontakt zu anderen Menschen aufnehme, schon gar nicht zu Konzertbesuchern und noch weniger, wenn sie männlich sind. Doch nun umarme ich Paul und drücke ihn kurz an mich.

Es ist, als hätte ich ein 12-jähriges Schulkind im Arm, das furchtbare  Angst  vor dem Klassenlehrer hat.
Pauls Frau steht jetzt auch neben mir und hat Tränen in den Augen. Sie hat all die Wochen im Campingmobil in der Nähe der Klink übernachtet, um ihrem Mann beizustehen. 


Speiseröhrenkrebs.


Der Schlund, das Nadelöhr des Körpers. Die Stelle, an der einem die Worte im Hals stecken bleiben, der Atem stockt, die Wut und die Tränen aufbranden, auch wenn man sie mit aller Macht versucht, zurückzuhalten.

Es gibt diese Schwelle im eigenen Körper , hinter oder über der es kein zurück mehr gibt. Alles kommt raus, alles nach oben. Das ungesagte, heruntergeschluckte, bislang unverdaute.

Da, wo auch die Stimmbänder sind. Das Singen, das Schluchzen, das tiefe, kehlige Lachen, die Sprache.


Niemals werde ich diese 10 Minuten auf der Treppe dieser Buchhandlung in Göttingen vergessen. Paul in seiner cremefarbenen Herbst Jacke, mit Schultern so schmal wie ein Kinderstuhl -  ich mit meinen Kabeln in der Hand, die ich gerade einräumen wollte, den Nacken seit Monaten bretthart.


Wir wechseln noch einige Sätze, wünschen uns alles Gute. Ich Paul für seine weitere Genesung, er mir für meinen Neuanfang, für meine Zeit nach dem Musikbuiseness.
Die Wünsche kann ich gut gebrauchen.


Ich kann nicht sagen, dass meine letzten Wochen leicht waren. An manchen Tagen, vor allem diesen vor dem  letzten  Konzert, das nun direkt an meine Tür klopft, fühlte ich mich wie jemand, die nach etlichen Jahren aus dem Knast kommt und nun eine  scheiß Angst hat, ob man sich  im "normalen" Leben überhaupt noch zurecht findet. Wie ein Junkie, der seit kurzem clean ist und weiß, dass er es nur schafft, wenn er es fertig bringt, sich eine neue Perspektive, ein neues Umfeld aufzubauen.


Es ist kompliziert, sich nach 20, 25  Jahren, in denen man mit Haut und Haar für etwas gebrannt hat - und auch irgendwie die Kontrolle über sein Leben und Handeln an dieses etwas, für das man gebrannt hat, abgegeben hat - auszusteigen und sich neu zu orientieren. Auszusteigen aus den vernarbten Verletzungen und den ausgetretenen Wegen, die ins Nichts führen, auf denen ich aber weiter jammern könnte, ohne wirklich etwas grundlegend zu verändern.


Loslassen.


Ich kann sagen, dass ich täglich offener werde für das "ganz normale" Leben. Für das Neue und Unbekannte. Für Kleinigkeiten und Großartiges. Für das große Glück im Kleinen. Die negativen Begegnungen und Umstände, die mich an diesen Punkt gebracht haben, zu sagen "Ich steige aus der Musikszene aus. " treten nach und nach in den Hintergrund. Brennen nicht mehr in meiner Seele, tun weniger weh. Wie eine Beziehung, die nach vielen Jahren zerbrochen ist. Trennung tut weh.

 

Zurück bleibt das, was mich weiter gebracht und bereichtert hat. Die zum Teil unbeschreiblich-unfreiwillig  lustigen, weil absurden Situationen, in denen ich mich unterwegs wiederfand. Manchmal kommt mir die eine oder andere Begebenheit unvermittelt ins Gedächtnis. Dann muss ich einfach kichern und lachen, egal was ich gerade mache. Kann man sich nicht ausdenken. So lustig.

Überhaupt kann Ich sagen, dass ich viel mehr lache und beginne, mich selbst wieder im Spiegel zu erkennen, das Leben wieder zu spüren. Mein Leben.

 

Einfach nur da sein.


Auch wenn die kleinen Trampelpfade beim Haus meiner Mutter, die ich als Kind so liebte und von denen ich während meiner Konzerte als Anmoderation des Songs "Paisteboard Tiger" lange erzählte, mittlerweile hoffnungslos zugewuchtert sind. Nur in meiner Erinnerung waren sie noch da, als sei es gestern gewesen.


Vor wenigen Tagen war ich das erste Mal seit 40 Jahren dort und wollte sie meinem Hund Lotte einmal zeigen. Und obwohl meine Mutter  immer noch in derselben Wohnung  wohnt, sind unsere kleinen, damals weit verzweigten Wege mit Dornengestrüpp und allerlei anderen Sträuchern so zugewachsen, dass man sie nicht mal mehr erkennen kann. Als wären sie nie da gewesen. Der Durchgang (völlig unnötig, da es ja kein Durchkommen gibt) ist mit einem  Schild  versperrt, das an einer Garagenwand  hängt "Privatgelände, Durchgang verboten".

 

"Privatgelände. So ein Quatsch." denke ich. " Das war mal mein Kinderzimmer. Meine Heimat."


Die Trauerweide, an der wir als Kinder schaukelten, indem wir uns an den unteren Zipfeln ihrer Äste festkrallten und wie die Schimpansen grölend hin- und her schwangen - die Weide, an der ich, noch an einem dieser Äste hängend, von einem mir bis dato unbekannten Mädchen die einzige schallende Ohrfeige meines Lebens bekam, obwohl mein älterer Bruder direkt neben mir stand und ich überhaupt nichts gemacht hatte - das erste Mal nach all den Jahren sehe ich sie wieder.


Das Mädchen - sie sah ich nie  wieder und werde auch niemals den Moment vergessen, als sie ihre kurze, gezischte Drohung wahr machte und wirklich zuschlug, sehr hart und mitten in mein Gesicht - hatte einfach nur Streit gesucht und ich sie wohl falsch angeschaut.

Im Moment, als ihre Hand meine Wange traf, ließ ich den Ast los und landete rückwärts im feuchten Gras.


Diese Weide vermodert nun, mehr als 40 Jahre später, vorn über geknickt wie ein Riese, der mit dem Kopf voran gestolpert und einfach so liegen geblieben ist, direkt hinter einer Mauer aus Brombeergestrüpp.


Vorbei.
Kein Durchkommen.


Nichts ist übrig von der kleinen Wildnis, in der wir uns im Winter waghalsig mit klapprigen Holzschlitten die wochenlang schneebedeckten Hänge herunterstürzten, die Füße infernalisch steifgefroren in unseren Gummistiefeln.

"BRENNHOLZ !!! " brüllten wir, wenn sich oben jemand mit Anlauf in Bewegung setzte, um sich bäuchlings und todesmutig auf den Schlitten zu werfen.
Im Sommer hingegen waren wir Löwen, die an lauen Abenden auf ihren kleinen Hügeln saßen und über die ausgebrannte Steppe der Prärie blickten, bis hinter den Häusern unserer Straße die Sonne unter ging.

 

Vorbei.


Eine Weile stehen Lotte und ich noch da und blicken auf das Ensemble aus Dornenhecken und morbidem Grün. Dann sage ich : "Komm Lotte, gehen wir weiter."


Wir gehen den Weg, den wir gekommen sind, zurück, bis wir wieder an Biegung der Straße sind, die man vom Küchenfenster meiner Mutter aus sehen kann.

Hier verschwanden wir als Kinder in die Wildnis, bis wir irgendwann, müde, zerzaust und hungrig wie die Bären, wieder auftauchten, um nach Hause zu gehen.

 

Vorbei.

 

Ein neuer Weg wird sich mir öffnen.

Ich weiß es .

Ganz sicher.


Dichter Wald.

20. August 2017

Vor einigen Wochen ging ich in einen kleines, ziemlich  verstaubtes Musikgeschäft  in einer ebenso kleinen, recht verstaubten Provinzstadt.

 

Nicht, weil ich dort etwas zu finden glaubte, sondern weil ich für meinen Auftritt am nächsten Tag unbedingt noch neue Saiten brauchte und ich sonst nirgendwo mehr welche herbekam. Die mehrfach Bestellung vom Online Versandhaus war aufgebraucht, ich hatte es wegen eines Feiertages versäumt, rechtzeitig zu ordern, und jetzt hatte ich den Salat bei gefühlten 35 Grad im Schatten.

 

 

Ich spiele einen ganz speziellen Satz Saiten, den und nur den (!), und dieser Laden hatte ihn, laut seiner ebenso verstaubten Webseite, glücklicher Weise im Angebot. Dazu muss man wissen, dass ich wirklich am Ende der Welt wohne und es hier nicht mehr allzuviele Gitarrenläden gibt.

 

Nur noch diesen einen, um genau zu sein, aber ich war seit mindestens 5 Jahren nicht mehr drin.

 

Kurz vor Ladenschluss am Freitag Abend überrasche ich also einen Sonnenbank gebräunten Angestellten, der innerlich schon seit mindestens 2 Stunden (oder sind es 2 Jahre ?! ) Feierabend gemacht hat und mich mit einem Lötkolben in der Hand und den Worten "Ich hab´ von Gitarren keine Ahnung, bin hier nur der Tastenquäler." begrüßt.

 

Der Chef sei am Montag wieder da.

 

"Bin hier nur der Tastenquäler." denke ich, während ich den einzigen Satz Saiten im ganzen Geschäft, der auf mich zutrifft zum absoluten Apothekenpreis von 22,50 Euro kaufe.

 

22 Euro 50 !!! Aber ich habe keine Wahl, morgen muss ich um 10 Uhr auf der Autobahn sein, da bleibt keine Zeit um noch wonanders irgendwas zu suchen.

 

Beim Einräumen von Saiten, Handy und Geld fällt mein Blick, irgendwie ferngesteuert, magnetisch angezogen und eigentlich auch ohne ersichtlichen Grund nach schräg - hinten - oben, wo eine kleine, leicht rötliche Gitarre direkt unter der Decke in der buchstäblich hintersten Ecke hängt.

 

Ich sehe sie an und spüre sofort : " Moment mal, das könnte das sein, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe. Ausgerechnet hier."

 

Seit Monaten lese ich Reviews, durchforste Gitarrenforen nach Usermeinungen, probiere aus, gebe zurück, nee, ganz gut, aber nicht das richtige. In Köln, Hamburg, Berlin.

 

Und hier, am Ende der Welt in der rheinischen Tiefebene, bei diesem Typen, der alles will, außer mir etwas zu verkaufen : diese kleine, total untypische Gitarre, die einzige ihrer Art zwischen all den handelsüblichen und im Vergleich riesengroßen Dreadnought Gitarren.

 

Sie hängt da und spricht förmlich mit mir, wie ein Schmetterling, der in ein Spinnennetz geraten ist und nicht mehr allein herauskommt, zum sterben verurteilt flüstert sie so etwas wie " Rette mich ! " und ich antworte "Ja, ich rette Dich ! ", während ich mit dem Angestellten ein paar Belanglosigkeiten austausche und mich gleichzeitig Frage, ob ich jetzt doch verrückt geworden bin. Denn natürlich kann nur ich sie sprechen hören.

 

Aber es ist unmißverständlich : Sie hängt da, unfähig, von alleine hier wieder weg zu kommen, denn in dieser Provinz will definitiv niemand so eine besondere Gitarre und überhaupt, wie ist sie - um Himmels Willen, überhaupt hierher gekommen ?

 

So ringt sie um die wohl einzige Chance auf Rettung für die kommenden 10 Jahre : Mich. Und irgendwie fühle ich mich an mich selbst erinnert.

 

" Wie soll ich das jemals jemandem erkären ", denke ich und frage den Tastenquäler, ob ich die kleine Parlour da ganz oben - hinten mal kurz antesten dürfte.

 

Er hat keine Ahnung, was ich von ihm will. "Ja, klar, kein Problem " anwortet er und ist dann auch schon schlurfend mit seinem Lötkolben in der Hand in seiner kleinen Werkstatt hinter dem Tresen verschwunden. Da sitzt er dann und lötet, mir den Rücken zugewand, an seinen Drähten herum.

 

Ich stelle mich auf einen kleinen Hocker, der herumsteht und fische die Gitarre vom Haken.

 

Tanglewood.

Dichter Wald.

Wunderschönes Holz.

 

3 verschiedene Hölzer am Korpus. Unter anderem Mango, wie ich später recherchiere. Wahnsinn, wow, denke ich und die Energie dieses Holzes, des ganzen Handwerks, das in diesem Instrument steckt, durchströmt mich. Ich setze mich auf den Hocker und spiele ein paar Akkorde.

 

Diese Tanglewood ist wie für mich gemacht. Saitenlage, einfach alles. U- shape Hals, perfekt für meine kleinen Hände, leichter, kleiner Body, alles passt sofort.

Der Sound : Parlour eben, dieser sehr kleine, etwas "nasige " Klangkörper , der genau für den Tonraum einer weiblichen Stimme designed ist, damit die Stimme neben der Gitarre auch Platz zum klingen hat.

 

Zu viel Volumen am Instrument ist fürs singen nämlich gar nicht immer das Beste. Vor ca 100 Jahren hat man daher extra für die singenden Frauen diese Gitarrengröße entwickelt.

 

Ich teste die Gitarre bis 2 Minuten vor Ladenschluss, kann immer noch nicht fassen, was ich da in den Händen halte. Ein absolutes Schmuckstück, in jeder Hinsicht. Mit das beeindruckendste, was ich in den letzten Jahren an Gitarren in auspobiert habe. Außer der Larrive, die ich mal in Schwerin für 15 Minuten in der Hand hatte, vielleicht.  Sie muss seit Jahren hier herumhängen, so viel steht fest.

 

" Ich nehm sie. " sage ich, ohne nach dem Preis zu fragen
und der Tastenquäler, der nun schon seit 10 Minuten ungeduldig hinter mir steht, um endlich abzuschließen, ist jetzt doch etwas konsterniert. Ein großes Fragezeichen schwebt über seinem Kopf.

 

Dann sucht er im PC nach dem Preis, kann keine meiner Fragen zu der Gitarre beantworten - sagt nochmal : "Ich hab´ keine Ahnung von Gitarren, bin hier nur der Tastenquäler.", und es klingt wie " Ich wollte mal Pianist werden, bin aber hier gelandet " oder " Mein Frau ist vor 2 Jahren abgehauen" oder "Ich fahre im Urlaub nach Mallorca, aber nur Vorsaison."

 

"Was für ein Nachmittag." denke ich, die Gitarre immer noch in meiner Hand.

 

Nach ein paar Augenblicken schaut er auf und setzt an, um mir einen Betrag zu nennen. Ich halte die Luft an, rechne mit allem von x-y, aber er verlangt nur einen Spottpreis, aus welchem Grund auch immer. Entweder er will sie einfach loswerden oder er hat wirklich keine Ahnung.

 

Wahrscheinlich von beidem etwas und ich sage schnell "OK. " und bezahle, bevor er es sich doch noch mal anders überlegt.

 

Er friemelt die Tanglewood, deren Originalverpackung vor vielen Jahren verschwunden zu sein scheint, in einen viel zu kleinen Pappkarton einer Yamaha Kinder Gitarre, den er hinter einem Vorhang hervorzaubert.

 

"Was für ein Nachmittag. " denke ich noch einmal. Und speichere die Szene für alle Ewigkeiten auf der photografisch arbeitenden 3000 GB Festplatte in der Mitte meines Kopfes ab.

 

In so einem Karton hat mein Bruder damals von "Guitar George", einem Gitarrenladen am Limbecker Platz meiner Heimatstadt Essen seinen ersten E - Bass mit nach Hause gebracht. Er war 15, ich 11 Jahre alt.

 

Guitar George sagte man nach, er würde gebrauchte Basssaiten hinten in der Ladenküche in großen Töpfen auskochen, in die Verpackung zurück mogeln und wieder an die Anfänger verkaufen (also an meinen Bruder zum Beispiel), die davon keine Ahnung haben. Er wäre darin so versiert, dass man den Unterschied nicht sähe. Was natürlich totaler Quatsch war.

 

Trotzdem gingen alle zu Guitar George Saiten und billige Gitarren kaufen, denn es hingen Fotos von bekannten Musikern, die schon bei Guitar George einkauft hatten an den Wänden, und das Ganze hatte etwas ungeheuer Spannendes.

 

Mein Bruder versuchte dann selbst, seinen ersten Satz Saiten zu Hause im Spaghettitopf auszukochen, als diese nach einem Jahr runtergespielt waren, denn wir hatten wenig Geld. Zuwenig Geld für neue Saiten.

 

Wir guckten in das dampfende Wasser, ließen die speckigen, dunkelgrauen Saiten hineingleiten, rührten ab und zu um und fragten uns, wie lange sie wohl kochen müssten. Natürlich brachte es nichts, die Saiten waren einfach runter. Also ließ mein Bruder sie auf einem Geschirrtuch trocknen und zog sie wieder auf.

 

Wir hatten kein Geld, auch nicht für einen vernünftigen Bassgitarrenkoffer und so klemmte sich mein Bruder 2 Jahre lang den billigen E- Bass im Pappkarton unter den Arm und fuhr mit dem Linienbus zur Bandprobe in sein Gymnasium, das er ansonsten verabscheute.

 

Jede Woche fuhr er hin und probte - zuverlässig 2 Mal. Später durften er und seine Band dann sogar mit einem Kurzprogramm in der Borbecker Arena auftreten (Der da hinten auf der Bühne ist mein Bruder ! " ) und sie nahmen eine Single mit dem Namen "Green Allee" auf.

 

Ich erinnere mich genau, wie stolz und glücklich mein Bruder war, als er, etliche Jahre nach Gründung der Band und mittlerweile mit einem knallroten modernen Aktivbass ausgestattet ("Das ist ein aktiv Bass, der hat hinten eine Blockbatterie drin  und deshalb viel besseren Sound ! "), mir diese kleine Vinyl Single zeigte. Mit Cover, mit Label, mit allem Drum und Dran.

 

Kurz darauf trennte sich die Band, und irgendwie war die Zeit, in der alle noch ihre Pappkartons im Schulbandkeller gehabt hatten, viel schöner gewesen als die Jahre, in denen es mit besserem Equipment, wechselnden Bandmitgliedern und im gemieteten Proberaum endlich richtig losgehen sollte.

 

Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

 

36 Jahre später, ich nehme die Tanglewood mit nach Hause und kann das Gefühl nicht in Worte fassen. Ich hatte viele schöne Gitarren in der Hand, aber keine war so wie diese.

 

Es ist, als hätte sie wirklich in dem Laden auf mich gewartet.

Und ich habe den Mut, mich für sie zu entscheiden. Ohne jemanden zu fragen, ohne eine Rezension auf Amazon zu lesen, ohne zu sagen " Ich überlegs mich noch mal." Ich vertraue nur meinem Gefühl, meinen Händen und meinen Ohren.

 

Sie bekommt den neuen Satz Saiten für 20 Euro 50 ; der, der drauf war, ist total verrostet und mindestens 10 Jahre alt und ich spiele sie ohne zu zögern direkt am nächsten Abend bei meinem Auftritt - und bekomme die erste größe und wirklich sehr, sehr gute Zeitungskritik mit Foto seit langem.

 

Kann ein Zufall sein, ist es aber nicht.

 

Auch in Bielfeld ein paar Tage später : Fotos, Zeitungsartikel,
Sychronicity.

 

Und einige Tage später kommt dieser Song aus der Gitarre heraus, ich kann es nicht anders sagen. Das Gitarrenlick kam aus dem Hals der Gitarre über die Saiten in meine Hände - nicht umgekehrt, ich bin mir ganz sicher.

Seit Jahren hing der Song mit der Gitarre unter der Decke dieses Ladens.

 

Aber Gottseidank hatte ich es ja verschlafen, rechtzeitig neue Saiten im Internet zu ordern.

Und wer von uns nun wen gerettet hat ?!
Spielt überhaupt keine Rolle.

 

In diesem Sinne :

Ich habe mir die Zeit genommen, dieses Video zu machen, was mir auch viel Spass gemacht hat und teile das gerne mit Euch.

 

Leg mir meine Gitarre mit ins Grab
wenn ich gestorben bin
wenn ich gestorben bin
und in der Erde begraben

 

Leg mir meine Gitarre mit ins Grab
dann brenn das Haus nieder
brennt das Haus nieder
damit es wieder zu Erde wird ...


BERLIN, BERLIN.

2.4.2017

Bei meinem letzten Auftritt in Berlin - ich hatte Geburtstag, ich glaube, es war der 42. (!) mussten wir am Tag des Konzerts kurzfristig die Location wechseln  (das Bauamt hatte den "Club Crystal" kurzfristig wegen Baufälligkeit geschlossen) und ich war deswegen ziemlich durch den Wind.
Als Notlösung für mein Singer - Songwriter Konzert landete in einer Keller- Disco in Tempelhof. Mein damaliger Manager stand dann Abends sehr entspannt quasselnd am Tresen, während ich draußen den Leuten zuwinkte, die ratlos den Auftrittsort suchten. Dort hing nämlich im Kassenhäußchen nur ein kleiner knittriger Zettel im Fenster, dass das Konzert nach Gegenüber verlegt sei. Aber finde mal "gegenüber" in Tempelhof !
Die Vorband brach mitsamt meiner gesamten Bühnengarderobe eine Stunde vor Showtime mit dem Bandbus zum Brandenburger Tor auf (Sightseeing, so oft ist man ja nicht in Berlin) und natürlich - wie könnte es anders sein - steckten sie wegen einer Grossdemo auf dem Rückweg im Stau  und kamen deshalb nicht rechtzeitig zurück. Keine sauberen Klamotten, kein Fön, kein Lidschatten, nichts.
Und das nach diesem Horror Tag.
Die Managerin der Vorband, die am Venue geblieben war, hatte Mitleid mit mir, wie ich so verschwitzt und in Strassenklamotten und am Rande des Nervenzusammenbruchs vor ihr stand und lieh mir für meinen Auftritt immerhin  ihre Wimperntusche, was ich sehr nett fand.
...zu guter Letzt war auch noch Dagmar Berghoff (oder wie heißt die Dame, die diese TV- Schlager Samstag Abends live Show moderiert) extra wegen mir gekommen (von sich aus !!!) und ich ließ sie mehr oder weniger stehen, weil ich nach diesem Tag so fertig war, dass ich nur noch weg wollte....leider habe ich mich bis heute nicht dafür bei ihr entschuldigen können.
Ich sehe sie noch vor mir, wie sie in dieser lauen Sommernacht auf dem Parkplatz stand, um mit mir zu sprechen und ich einfach in den weißen Van  stieg, mit dem wir seit einigen tagen unterwegs waren.
Es tut mir leid, Dagmar ! Aber ich bin auch nur ein Mensch.
Ach nein, sie hieß ja Carmen. :-)

Knallbunter Einheitsbrei

2.9.2016

Wer erinnert sich nicht an die postgelben Reclamhefte, mit denen man uns in der Schule genervt hat. Rätselhafte Klassiker der Literaturgeschichte, die wirklich niemanden interessierten, außer vielleicht die Mitglieder des  literarischen Quartetts. Schon gar nicht 14 jährige  Mädchen, die den  Tag damit verbrachten,  Whitney Houston und  / oder Nena zu  hören.

 

„Emilia Galotti“ und das "Fräulein von Scudery " standen vor mir wie eine meterdicke Mauer und es gab kein darüber kommen.  Und, ich gestehe, obwohl ich mich im weitesten Sinne mittlerweile zur schreibenden Zunft zählen würde, habe ich kein einziges Kapitel dieser Heftchen gelesen. Obwohl ich vielleicht sollte. Allgemeinbildung und so.

 

Nun gehöre ich aber zu den Menschen, die sich für etwas interessieren  müssen, wenn sie sich damit  beschäftigen sollen. Und die sich, wenn  sie sich mit etwas beschäftigen, sehr intensiv  mit etwas beschäftigen, soll heißen, nicht einfach so oberflächlich husch - husch und nebenbei. Emilia Galotti interessierte mich aber nicht. Interessiert mich auch jetzt noch nicht. Schon alleine wegen dieser Sprache von vor- vorgestern. 2 mal habe ich den Anfang  gelesen und nichts verstanden, nach 15 Minuten hatte ich keine Lust mehr und gab auf. Und  dieses ganz bestimmte Gelb der Reclamheftchen , die, weil sie so klein und leicht waren,  so harmlos daherkamen und dabei wie ein Stein im See meiner Seele versanken, war vortan ein rotes Tuch für mich. Ein Signal, das nichts Gutes verhieß und mich zum Versager machte. Dabei hätte ich es einfach nur lesen müssen. Aber es ging  nicht, es war entschieden zu langweilig.

 

Die Inhaltsangabe, die wir zu jeder Doppelstunde über das betreffende Kapitel (manchmal auch zwei ) verfassen mussten, schrieb ich in den Pausen von meiner Freundin ab oder von dem, der es eben hatte, und naja ... irgendwann kam die Klassenabreit. Ich habe trotzdem Deutsch als Leistungskurs gewählt und mein Abitur mit einer wirklich ordentlichen Note bestanden. Wie, ist mir heute - ehrlich gesagt- schleierhaft.

 

Dabei habe ich wirklich gerne gelesen. Nur eben nicht das, was man uns vorsetzte wie einen kalt gewordenen Pudding. Was mich interessierte war zum Beispiel  „Es“ von Stephen King.  Manuela hatte das große, schwere, knallrot glänzende Buch mit in die Klasse gebracht. Da machte es dann seine lange Runde und war so dermaßen gruselig , dass ich es nur schwer fertig brachte, über die Stelle, an der der Clown aus dem Gulli mit den Kindern spricht, um sie anzulocken, hinauszukommen. Monatelang konnten meine Klassenkameradinnen Bettina, Manu, Sabine,  Andrea  und ich nicht mehr an Gullideckeln  vorbeigehen, immer sahen (und hörten)  wir darin den Clown....was für ein schrecklich schöner Lesespass. Für Bücher gibt es ja keine FSK.

 

Oder diesen Thriller, den ich, als ich ungefähr 10 Jahre alt war, zusammen mit meiner Oma und wirklich aus Versehen,  in der katholischen Stadtteilbücherei Essen Dellwig ausgeliehen habe (das Buch, nicht die Oma ausgeliehen ! ) und der so spannend war, dass die Welt um mich herum still stand. Ich erinnere mich genau an den mattschwarzen Einband des dicken gebundenen Buches und wollte unbedingt wissen, wie es weiter geht. Ich versuchte in der Bücherei (ich ging sogar alleine hin, damit meine Oma nichts davon mitkam, denn instinktiv  wußte ich, dass ich die Altervorgabe für diesen Wälzer nicht erfüllt hatte) die 2 . Folge der Serie auszuleihen, aber die Bibliothekarin im Rentenalter war entsetzt, daß ein kleines Mädchen wie ich nach einem solchen Buch fragt und gab es mir nicht. Keine Chance. Bis heute, 36 Jahre später, erinnere ich mich an daran, wie es sich anfühlte, als ich mit meinen Fingern über den etwas rauhen Einband  strich und mit dem Aufklappen des Buchdeckels in eine völlig andere Welt eintauchte.

 

Ich erinnere  mich an "Das Parfüm" (Verfilmung ok, von allem wegen Alan Rickman) , an "Ein ganzes halbes Jahr" (schreckliche Verfilmung, tolles Buch) , an "11 Minuten" von Paolo Coelho (nie verfilmt, glaube ich ) und vertete die Meinung, daß manche analogen Dinge einfach nicht zu ersetzen sind. Echte Bücher zum Beispiel. Aber Emilia Galotti ?! Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, worum es in dem Werk geht bzw. ging.

 

Nun - die 9. Klasse hat für meine Tochter vor ein paar Tagen begonnen - kommt diese nach der ersten Deutschstunde nach Hause : "Mama, wir lesen in Deutsch jetzt ein Buch  ! "  2 Euro sollte ich ihr für so ein "kleines, gelbes Heftchen " mitgeben. Reclam, da war es wieder. Manche Dinge ändern sich nie, auch nicht an Waldorfschulen.

Das Reclamheftchen war wohl ausverkauft, deshalb gab des den "zerbrochenen Krug" von Heinrich von Kleist in kopierter Minidruckschrift. Und ich muss zugeben: was für ein unbeschreiblich langweiliges, nach heutigen Maßstäben umständlich geschriebenes, weil 1808 in Blankversen  verfasstes Buch.

 

Meine Tocher, ansonsten sehr gewissenhaft was Hausaufgaben angeht, schiebt es das gesamte Wochenende kategorisch und sehr konsequent vor sich her, das mittlerweile immerhin ordentlich abgehefete, um die 50 Seiten umfasende Werk zu lesen, nachdem sie, völlig entsetzt,  den Spachstil erfasst hat. 

 

„Mama,ich hab jetzt 20 Seiten gelesen, aber  ich verstehe gar nichts, so komisch geschrieben ist das  !!! "  Ich kenne das ja selbst : Ab und an habe ich ein Buch in der Hand, daß sich nicht flüssig lesen läßt und nach 20 Seiten lege ich es für immer weg. Aber nicht flüssig geschrieben ist für den zerbrochenen Krug gar kein Ausdruck.

 

Meine Tochter also, mittlerweile ist es Sonntag, 22 Uhr, recht verzweifelt : " Mama, ich kann  dieses Buch nicht lesen ! Es ist total langweilig und man versteht nichts. " Dabei hat sie 2  mannshohe Regale voller Bücher in ihrem Zimmer stehen, die sie , völlig freiwillig und im Rekordtempo gelesen hat. Harry Potter, alle Bände, mit 11 gelesen (viele Seiten), Skulduggery Pleasant (alle 9 oder 10 Bände, dicke Wälzer) , der kleine Hobbit (ziemlich  sperrig, aber sie gibt nicht auf). Und diverse andere Bücher.  Als nächstes steht "Das Lied von Eis und Feuer" , eine 10 teilige Saga auf dem Zettel, adaptiert als bekannte TV - Serie "Games of Thrones".

Und Stephen King. Allerdings nicht "Es", da habe ich das mütterliche Veto eingelegt.

 

Aber 50 Seiten Blankverse von Heinrich von Kleist...

 

Die Freundinen meiner Tochter sind nicht weniger verweifelt und posten in ihre "Waldi" - whatsapp Gruppe, daß sie den Text entweder 2 mal gelesen und nichts verstanden hätten (wobei ich am Wahrheitsgehalt zweifle, ich denke, es waren 3 oder 4 Sätze, die nicht verstanden wurde, danach wurde das Buch weggelegt) , erst die Häfte gelesen , oder noch gar nicht angefangen haben.

.

„Tja." sage ich, "da fängt das Schuljahr aber schon mal gut an." Ich ermutige meine Tochter, so viel zu lesen, wie sie noch schafft und dass sie bestimmt nicht nicht einzige ist, die nicht das ganze Buch - wie gefordert - an einem Wochenende gelesen hat. Ich berichte Ihr auch  von meinen Erfahrungen mit Emilia Galotti und dem Fräulein von Scuderi, da ist meine Tochter dann etwas erleichtert. Trotzdem wird sie sich in den nächsten Wochen durch den zerbrochenen Krug quälen und gewissenhafte, selbst verfasste  Inhaltsangaben schreiben, denn, und das spricht wirklich für meine Tochter, wenn sie etwas macht, dann macht sie es sorgfältig und richtig. 

 

Doch zurück zum Sonntag Abend und "Heini" von Keist : Eine halbe Stunde später, gegen 22 Uhr 30,  kommt meine Tochter freudestahlend ins Zimmer, „Hey, Mama, Lisa hat was total cooles auf youtube gefunden und in whatsapp  gepostet. Da spielt einer den zerbrochenen Krug mit Playmobil als Video nach . Dauert 8 Minuten. Jetzt weiß ich wenigstens ungefähr, worum es geht. Der Montag ist gerettet " ( Wie erwähnt: gefordert war, das ganze Buch bis zum nächsten Montagmorgen gelesen zu haben. )

 

Ich sage „Aha“ und muss etwas schmunzeln. Die sind ja echt pfiffig, denke ich. Was wäre ich froh gewesen, wenn ich mir in der 9. Klasse ein youtube video mit einer Instant Fassung von „Homo Faber“ hätte ansehen können . Und was wäre es cool gewesen, wenn meine Mutter das Video lustig gefunden hätte,  anstatt mit mir zu schimpfen. Was sie aber ohnehin nicht getan hat, weil sie wegen ihres Vollzeitarbeitspensums als Verkäuferin bei Edeka , Hausfrau und Mutter  von drei Kindern gar nicht wußte, dass ich Homo Faber lesen musste.

 

Ich schaue mir das Video an und muss schon beim Startbild schallend lachen, kriege mich in den folgenden Minuten gar nicht mehr ein : 5 Playmobil Püppchen, knallbunt , im Stil der handelnden Personen mit allem Drum und Dran (Bärte, Perücken, wallende Gewänder, mittelalterliche Lauten) als Richter, Fräulein  und Knecht gekleidet, stehen in Großaufnahme vor einem mit liebevoll hergerichteten Hintergrund wie in einem Hollywood Filmset. Das Bühnenbild aus Pappe und Fotokarton  zeigt einen altertümlichen Gerichtssal, die Figuren werden von großen, etwas fleischigen Fingern hin und hergeschoben und eine Stimme, die offensichtlich zur puppenspielenden Hand gehört, aus dem „off“ erzählt in Echtzeit die entsprechende Geschichte über den zerbrochenen Krug. Und der winzig kleine Krug aus Plastik in der Hand des Fräuleins ist wirklich zerbrochen, was in der anschließenden Grossaufnahme deutlich wird !

 

Reclam ist vom Thron gestoßen, es lebe die digitale Revolution ! Dass ist wirklich so dermaßen lustig, dass ich jetzt noch lache. "Voll schrottgelacht", wie meine Tochter sagen würde. Die Stimme, deren Kopf nicht im Bild ist, sagt mit entprechend verstellten Tonlagen Dinge wie „ Und das Fräulein sagt , so, eyy, Knecht, mein Krug ist zerbrochen. Und der Richter so , ja, ähm, und wie ist das passiert..?! "  Figuren werden hin und hergeschoben, die Gesichter riesig und bunt in der Kamera, alles HD. Zum schreien witzig, zumal das Video "Der zerbochene Krug in 8  Minuten" heißt.

 

Der Macher der Videos ist nicht, wie ich zunächst denke, ein 15 jähriger Nerd, sondern ein  Literaturkenner  mittleren Alters namens Sommer, der den Youtube Kanal "Sommers Weltliteratur to go "  betreibt und bis dato 117 (!) Werke  auf diese Weise zusammengefasst, mit Playmobil in  Szene gesetzt und hochgeladen hat. Man findet einfach alles : Faust, die Leiden des jungen Werther, Emilia Galotti, Macbeth, das kunstseidene Mädchen, Moliere, Kafka und  das Bildnis des Dorian Gray, um nur  einige zu nennen.

 

Es gibt auch ein "making of " Video in dem der Kanalbetreiber zeigt, mit welchem Aufwand und welcher Hingabe er seine Videos zu Hause am, Küchentisch herstellt. Wirklich beeindruckend und ich denke mir, dass das doch mal ein guter Ansatz für den Deutschuntericht wäre: man könnte  die Schüler über das  an sich stinklangweilige  Reclamheftchen ein Video mit Playmobil (oder anderen Utensilien) machen lassen. Sie müssten es lesen, zusammenfassen und hätten Spaß dabei, der Lehrplan wäre erfüllt und alle wären zufrieden. Naja, vielleicht in ein paar Jahren. Einige Lehrer empfehlen wohl schon , sich  die Playmobilvideos anzuschauen.

 

Ich selbst jedenfalls lerne mittlerweile aus Youtube- tutorials, wie man Schnittmuster für Tellerröcke hrstellt, Waschmachinen repariert, Videos einen schönen retro Look gibt  und mathematische Terme berechnet und / oder Gleichungen auflöst, wenn ich meiner Tochter damit bei den Hausaufgaben helfen soll. Denn, wie das geht, daran kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern - wenn ich es denn überhaupt je konnte.

 

"Sommers Weltliteratur to go" hat an die 20000 Youtube Abonnenten und unter den einzelnen Videos stehen etliche Kommentare, die Videos sind zigtausendmale angeklickt.

Sofakätzchen79 schreibt  : „Danke, Herr Sommer, für ihre super Videos !

 

Sie haben meine Abiturprüfung gerettet.“

 


Wir sehen uns wieder in diesem Theater

8.6.2016

Habe ich schon erwähnt, dass ich meinen Beruf liebe? Eigentlich immer, aber besonders an so Abenden wie gestern ?

Für mich ist jede Autobahnfahrt wegen diverser Ängste, die ich habe, eine Herausforderung, jeder Gang auf die Bühne, jedes Treffen mit Menschen, egal ob ich sie zum ersten Mal sehe oder nicht.

 

Und dann, gestern als Gast bei Inga on Stage, nach 3 Stunden auf der A40 , die mich einmal quer durchs Ruhrgebiet gespült hat, vorbei an den Städten meiner Kindheit und Jugend, die ich lange verlassen habe, tauche ich ein in eine ganz eigene Welt.

Ein Hinterhoftheater, kuschelig und plüschig. Eine kleine, verwinkelte, etwas verwunschene Theatergarderobe. Privat und verschwitzt und warm wie der Schoß einer Mutter. Ein Raum voller Künstler, die konzentriert bei der Sache sind und mich willkommen heißen, so, wie ich gerade aus dem Auto gestiegen bin.

 

Ich kenne keine(n) von Ihnen, außer Sebel, der als Zuschauer gekommen ist, aber es macht gar nichts, dass ich sie nicht kenne. Wir sind eine Familie. Die Familie, die ich in der Stadt, durch die ich eben noch gefahren bin und deren Häuserfronten hinter Lärmschutzwänden an mir vorbeihuschten, nie hatte.

 

Wir haben wenig Zeit, noch 10 Minuten, um kurz die Stücke zu proben. Ich darf zwei Titel mit Band spielen, was ich seit 15 Jahren nicht gemacht habe. Seitdem stehe ich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, alleine auf der Bühne. Mit einer Band zu spielen ist etwas ganz Besonderes. Nichts kann das ersetzen.

 

Ich kann keine Noten aufschreiben, deshalb hat sich die Band im Vorfeld das neue Stück herausgehört. Das andere, "Geh aufrecht", können sie schon, weil Inga es regelmäßig mit der Band im Theater spielt. Ich bin gerührt deswegen, kann gar nicht genau sagen, warum. Doch, ich kann es : Mein kreatives Gut, meine Songs werden von den Händen anderer gespielt. Von den Stimmen anderer gesungen. Auch das ist ein einzigartiges Gefühl.

 

Ich hatte etwas Angst davor, so spontan mit der Band aufzutreten. Wie wird es werden, wird es grooven, wird es gut sein, werde ich gut sein ? Der Drummer zählt ein, alles passt sofort. Was für nette und fähige Kollegen ! Ich lache über beide Ohren, wie schon lange nicht mehr. Alle Zweifel, aller Druck fällt innerhalb von Sekunden von mir ab. Ich bin hier.

 

Keine Sorgen von Gestern, keine Fragen an Morgen. Jetzt lebe ich und die Band spielt. Dann singen die Gastgeberin Inga und ihre Kollegin, die ich vom ersten Moment an ins Herz geschlossen habe, "Geh aufrecht" gemeinsam.

Ich stehe da, ohne meine Gitarre vor dem Bauch, die mich sonst vor den Blicken des Publikums etwas abschirmt. Ich überwinde meine Scheu, mich zu zeigen. 46 Jahre bin ich vor ein paar Wochen geworden. Aber die Scheu hat nicht nur etwas mit meinem Alter und den Zeichen meines Lebens zu tun, die mittlerweile mein Gesicht prägen.

 

Wir sehen uns an und singen "Geh aufrecht" , Inga, ihre Kollegin, die Band und ich. Es ist einfach schön. Unsere Stimmen sind da.

 

Für das Publikum, für das Jetzt. Für das Leben.


Die Welt ohne David Bowie

12.Januar 2016

Es war 2009, als ich nach der Trennung vom Vater meiner Tochter und der Auflösung des gemeinsamen Hauses   in der Küche meiner damals "neuen" Bleibe, einer nicht ganz taufrischen 2 - Zimmer Wohnung saß. Ich war nicht nur pleite, sondern auch  geistig und  körperlich  am Ende, denn die Trennung hatte mich so unvermittelt getroffen und mein Leben derart auseinandergefegt, dass ich seit Monaten nicht mehr schlafen konnte. Ich stand im wahrsten Sinne des Wortes neben mir und hatte das erste mal seit langer Zeit das bedrückende Gefühl, dass ich dieser Herausforderung nicht gewachsen sein könnte. Ich war nun alleinerziehende Mutter und Musikerin. Wie sollte ich das nur schaffen ?

 

Keine Beratungsstelle, kein Programm für Alleinerziehende brachte mich letztlich zurück in die Spur, es war die Musik die mich vor dem Scheitern bewahrte, indem sie in mir das letzte Fünkchen Hoffnung am Leben hielt. Musik in Form meiner eigenen Songs einfach dadurch, dass ich sie schreiben und damit alles Stück für Stück verarbeiten konnte, aber noch viel mehr halfen mir die Songs der anderen.  

 

Wie eine Licht geladene Botschaft aus einem anderen Universum hörte ich  "Under Pressure" und erinnerte mich daran, wie ich als 14 Jährige mit  meinem Walkman monatelang das immer gleiche Mixtape hörte. Das einzige Lied, an das ich mich von dieser Cassette erinnere  ist " this is not America" von David Bowie. Zum treibenden Puls des Songs lief ich an lauen Sommernachmittagen durch mein Stadtviertel und fühlte mich einsam, erleuchtet, gestrandet, in die Welt geworfen  und unverwundbar zugleich. Unverwundbar, obwohl ich tief verwundet war.

 

Meine Mutter meinte damals einige Wochen früher, "Du brauchst keinen Walkman." und schenkte mir auch keinen zu Weihnachten. Dabei war es eines der ganz wenigen Male gewesen , in denen ich ganz klar und deutlich und auch mehrmals gesagt hatte, dass ich etwas ganz bestimmtes unbedingt brauche. Es mir wünsche. Bitte, bitte, einen Walkman. Einen ganz billigen, Hauptsache, ich könnte mit meiner Musik durch die Straßen ziehen.  Aber ich bekam keinen. Meine Mutter dachte wohl, dass diese neue Technik irgendwie schädlich wäre.

 

Einige Wochen später kaufte mir dann später selbst meinen ersten  Walkman, von meinem zusammengesparten Taschengeld. Eine Art erste Rebellion des Kindes, das unter dem Weihnachtsbaum vergeblich  auf seine Geschenke gewartet hat und sich nun selbst auf den Weg macht, um das zu finden, das es zum glücklich sein braucht.  

 

Nie werde ich vergessen, wie ich damals mit meinem Vater, der - gesundheitlich damals schon angeschlagen - sonst selten die schützende Burg seines Wohnzimmersofas verließ, mit dem Auto in die Stadt fuhr. Zu einem Hifi Geschäft.  Ein ganzes Regal voller nagelneuer Walkmen. Wir probierten  jedes einzelne Gerät aus und mein Vater , dem außer seiner eigenen Hifianlage, die sein Ein und Alles war und mit der er ganze Nachmittage lang in seiner akustischen Welt verschwand, wenig Spass machte , erlaubte mir, einen ziemlich teuren Sony - Walkman zu kaufen. 

 

Den teuersten im Laden, um genau zu sein. Ein kleines, ultraflaches, schwarz glänzendes Gerät mit Fernbedienung, die ich am Revers meiner Jacke feststecken konnte. Ein Monolith wie aus "Odysee im Weltraum 2001", und dieser passte in meine Jackentasche. Drückte ich auf die Tasten am Revers, begann der Walkman an meiner Hüfte zu ruckeln und zu arbeiten und gab dieses gewisse geschmeidige Geräusch von sich, wenn der Motor innendrin wie  ein magisches Uhrwerk ansprang. 

 

Ich bezahlte mit meinem Geld und nun hatte ich dieses ganze Universum auf Schritt und Tritt dabei.

Nichts würde mir passieren, ich hatte David Bowie.

 

Ich hatte  Major Tom und David Bowie und lief vorbei an den schmutzig - gelbgrauen Fassaden der Mietskasernen, der Vorgärten,  der Bushaltestelle an der etwas schmierigen Pommesbude, an der ich jeden Morgen stand, um den Schulbus zu erwischen. Für die innere Welt, die diese Musik in mir eröffnete, war in den Wohnungen, an deren Fenster  ich vorbei lief, kein Platz. Schon damals passte ich nirgends richtig hinein, und ich war noch 20 Jahre davon entfernt, meine künstlerische Identität zu finden. Niemand in meinem Jahrgang hörte David Bowie und ich hatte das Gefühl, als ob mit mir deswegen etwas nicht stimmte. Die anderen Mädchen in meiner Klasse hörten  Whitney Houston - ich hörte David Bowie , the Cure und Anne Clark. Uns trennten Lichtjahre.

 

Der Walkman hatte keine lange Lebensdauer, genau wie mein Vater. Nach nur wenigen Wochen reagierte der Walkman nicht mehr auf Tastendruck und ich musste ihn  zu Reparatur einschicken, was sehr frustrierend war. Ich musste etliche Wochen lang warten und nach nur ein, zwei Tagen war das gleiche Problem wieder da. Die technische  Abteilung wusste nicht, woran es lag und ich war wütend und traurig deswegen. Nie hatte ich mit irgendetwas Glück. Mir kam es so vor, als würde mich jemand dafür bestrafen, dass ich mir die Freiheit genommen hatte, mein gesamtes Erspartes für diesen Schnick Schnack auszugeben. Meine Mutter hatte wohl doch recht gehabt. Dabei hatte ich einfach nur ein Montagsgerät erwischt, aber das sagte mir niemand. Obwohl die Garantie längst noch nicht abgelaufen war, und ich mit etwas Nachdruck ein Austauschgerät hätte bekommen können, ergab ich mich diesem schrecklichen Scheitern und warf den Walkman, als er wieder keinen Mucks mehr von sich gab,  aus lauter Wut an der Bushaltestelle meiner Schule in den Mülleimer. Ich war eben ein Looser, der nichts anderes verdient hat, so einfach war das.

 

Das Gerät  verschwand mit einem dumpfen "tschickk" im grünen Abfallbehälter des Verkehrsverbundes Rhein - Ruhr und meine Mutter fragte mich nie, wo es abgeblieben war. Ich überlegte noch kurz, ob ich den Arm in das Loch stecken sollte, um den Walkman wieder herauszufischen, ließ es dann aber wegen der anderen Leute, die mich beobachteten und mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit  sein.

 

Mein Vater lebte noch 6 oder 7 Jahre und starb 1992, drei Tage vor meinem Geburtstag,  mit 57 Jahren an Krebs. Bis heute habe ich diesen Verlust nicht überwunden, egal welches Trauerseminar , welche Therapie ich absolvierte, niemals werde ich diese Lücke füllen können . Mein Vater, der Tag in dem Hi-fi Laden, der Walkman, David Bowies "Space Odysse"  und Ich. Wir waren ein Universum, ein Verschworenes Team. Heroes, just for one Day.

 

2009 schrieb ich dann einen Song am Eingangs beschriebenen Küchentisch,  in dem es um meine tiefe, innige Verbindung zu David Bowie und all den anderen Bands und Musikern, die mir so am Herzen liegen geht. Das sie meine Heimat waren, meine Lehrer. Darum, wie leer es wäre, wenn sie fehlen würden und wie gut es ist, das es sie gibt. Den Song " the world without david bowie"  habe ich nie veröffentlicht, vielleicht aus Nachlässigkeit, vielleicht weil ich zu der Zeit keine englischen Titel  heraus gebracht  habe, vielleicht, weil er mir viel zu persönlich und "naiv" erschien. Eine erwachsene Frau, die ihr Glück an ein paar Songs festmacht. Na herzlichen Dank dachte ich und ließ den Song in der Schublade verschwinden.

 

Adel Tavil brachte wenig später einen Song mit ähnlicher Intension, wenn auch völlig anderem Text und Akkorden : "Lieder."

 

Noch  vor einer Woche schrieb ich einen Song darüber, wie wichtig mir die Musik dieser Zeit ist, und wie ich mein ganzes Leben lang auf der Suche nach diesem Sound bin, diesen Aufbruch wiederzufinden, diese Sommerluft, dieses neue, dieses Staunen, als mein älter Bruder all diese LPs mit nach Hause brachte und sich mir eine neue Welt eröffnete. Eine Welt, in der ich dazu gehörte, in der ich jemand war, in der alles einen Sinn machte. Eine Welt, in der Künstler noch Abgründe hatten, die sie uns durch ihre Musik zeigten und mit denen sie unsere eigenen Abgründe heilten. In der Künstler Ihr Image noch selbst entwickelten und nicht die Manager der Plattenfirmen, die in den 90 iger Jahren damit begannen, Ihre "Acts" zu "optimieren", die  "Künstler" austauschbar, ohne wirkliches Gesicht.

 

Wie ich es hasste, dass die Welt mit jeder neuen Castingshow die immer neue "Superstars" hervorbachte, immer fader und farbloser und dümmer wurde. "Moment mal ! " wollte ich schreien ."Das sind keine Superstars ! " Das waren Produkte. Produkte, mit der wir zugemüllt wurden. Ohne Blut, ohne Atem, ohne Hoffnung. Ferngesteuert und manipuliert. Funktionierte der eine Act nicht, wurde er eben weggeworfen wie ein unliebsames Kleidungsstück und der nächste musste her. Die Seelen der Menschen : egal.  Die Verantwortung der Kunst gegenüber : Auch egal.Wie ich es hasste. Ich wollte zurück in den Sommer 1984. Zurück zu "this is not america", aber es ging nicht.

 

Unmittelbar nach den Bomben Attentaten  in Paris, die mich in Mark und Bein erschüttert haben, schaute ich mir, aus reiner Verzweiflung,  ein Bowie  live Konzerte auf YouTube an. Bei "Absolute beginners" sprang ich , nachdem ich wochenlang in einer Art Schockstarre gefangen war, unvermittelt  auf und begann, wild durchs Zimmer zu tanzen. Ich schüttelte meine Arme und Beine wie eine Voodoo Priesterin in Trance, reckte sie hoch in die Luft zu David Bowies unfassbarem Timing  und  seiner unfassbaren Band. Eine Frau am Bass.  Ich tanzte weiter,  bis die Verzweiflung über den Zustand der Welt etwas abgeebbt war. Vielleicht sollte ich mich dabei filmen und den Clip auf youtube einstellen, dachte ich. Es gibt uns noch. Wir haben noch David Bowie.

 

Und jetzt ist er tot. Hat uns sein Album "Blackstar" hier gelassen und ist zwei Tage später gegangen. 

 

Er ist nicht unsterblich, wie wir es uns im tiefsten Innern gewünscht haben. Dass er für immer ein Gegengewicht zum Dilemma dieser Welt sein würde, nur dadurch, dass er da war. Dass er uns, mit allem, für das er stand und das er ausdrückte, für immer begleiten würde , das Unlösbare auflöst. Nur durch seine Präsenz.

 

David Bowie ist tot, aber er ist unsterblich. Unsterblich in unseren Herzen, unsterblich durch seine Musik. Unsterblich durch die Erinnerungen, die wir mit Ihm teilen.

 

Was immer noch passiert mit unserer sinkenden Welt - wir haben noch David Bowie.


Odd weather for everyone.

23.November 2016

 

Einmal in der Woche telefoniere ich mit dem Vater meiner bald 14 Jährigen Tochter. Er ruft meistens Dienstags an, und bevor ich das Telefon meiner Tochter gebe, sprechen wir manchmal etwas über dies und das. Vor einigen Jahren ist er nach unserer Trennung in sein Heimatland zurückgegangen, womit wir uns heute arrangiert haben. Meine Tochter hat die doppelte Staatsbürgerschaft und besucht ihren Vater  regelmäßig, was ich immer unterstützt habe und immer unterstützen werde. In den Ferien, zum Geburtstag , an Weihnachten. Das ist nicht leicht , denn er wohnt jetzt am anderen Ende von Europa, am Mittelmeer. Sein Heimatland ist Frankreich. Aufgewachsen ist er 40 km östlich von Paris. Sein Vater arbeitete dort. Sein Bruder wohnt noch dort. Und seit dem 13 . November ist nichts mehr so, wie es vorher war.

 

Mich betrifft es natürlich nicht im entferntesten so schlimm wie die Opfer der Anschläge, deren Familie und Freunde. Mich betrifft es nicht so wie die Menschen in Frankreich, die nun mit der Omnipräsenz der Terrorgefahr leben müssen. „ Seit den Anschlägen patrouillieren Soldaten mit scharfen Gewehren durch die Stadt.“  sagt mein Expartner am anderen Ende der Telefonleitung. „ Seit Charlie Hebdo patrouillieren sie, aber jetzt mit scharfen Waffen. Es ist wirklich sehr bedrückend. Die Menschen haben Angst ins Kaufhaus zu gehen. Und sie sind sehr wütend.“

Ich schlucke. Es betriftt mich nicht so wie die Menschen in Frankreich, aber es betrifft mich. So sehr, dass ich Songs darüber schreibe und ein Video dazu mache, alle anderen Arbeiten stehen hinten an. Ich bin Musikerin, Künstlerin und das ist, wie ich damit umgehen kann.

 

Wir werden dieses Jahr keine Weihnachtpakete per Post verschicken, weil der Zoll  die Pakete filzt und damit kaputt macht. Wir müssen mit Wartezeiten rechnen, wenn meine Tochter zum alljährlichen Weihnachtsbesuch nach Frankreich reist. Die jährliche Visite auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt fällt dieses Jahr aus, zu gefährlich. Wir müssen darüber sprechen, ob der  Besuch wegen der angespannten Lage überhaupt stattfinden kann. Was für ein Horror. Natürlich sind Weihnachtspakete und Bahnreisen nichts im Vergleich zu wirklichem Terror, aber sie sind der Anfang vom Ende unserer Freiheit. Das ist der innere Horror, den ich in diesem Tagen spüre.

 

Aber dieser Weihnachtsbesuch  wird  stattfinden. Die Fahrkarten sind gebucht und noch kann man relativ gefahrlos reisen, obwohl ich am Bahnhof ein mulmiges Gefühl haben werde. Man trifft sich auf halben Wege bei der Oma, die wohnt im Elsaß direkt hinter der deutschen Grenze. Das ist recht ungefährlich. Der Wohnort des Vaters ist zu weit weg und derzeit wirklich nicht sicher. Wir müssen Papiere in deutsch und französisch mit uns führen, die besagen, dass meine Tochter reisen darf, denn auf der Straße gibt es nun Grenzkontrollen. Vorher gab es die grüne Grenze und man konnte einfach drüberfahren. „Sind wir schon in Frankreich ?! “ hieß es immer kurz vor den Vogesen und wir mussten lachen, denn es war gar kein Unterschied zu sehen. Kein Schlagbaum, keine Beamten.

 

Jetzt ist es ein Trauerspiel. „Ich kann gar nicht in Worte fassen, was derzeit passiert. Wirklich nicht. “ , sage ich zu meinem Expartner. „ Deutschland schickt Soldaten und Flugzeuge nach Syrien. Es ist heute beschlossen worden. Bestimmt wird als „Antwort“ des IS auch hier in Deutschland bald etwas passieren. Bombenattentate . In Berlin oder Frankfurt.“ Schweigen am anderen Ende. „ Man muss versuchen, positiv zu bleiben und weiterzumachen.“  Ja, darauf einigen wir uns, aber es klingt gedrückt. Glücklicherweise habe ich die Musik. Und glücklicherweise gibt es David Bowie auf youtube, das bringt mich auf andere Gedanken.

 

Kurz vor den Anschlägen in Paris habe ich auf Facebook eine Aktion gestartet, um für die Flüchtlinge, die nun seit einigen Monaten oben an unserer Strassenecke in den Nebenräumen einer Turnhalle leben, ein paar Plätzchen zu backen. Nur als eine kleine Geste, denn in unserer sehr konservativen, eher ländlichen Gegend kommen sie mir sehr schlecht integriert vor, diese Menschen. Sie tun mir leid, auch wenn mir die Probleme des unbegrenzten, massenhaften Zustroms von Menschen für unser Land bewußt sind. Ich bin nicht naiv, wirklich nicht. Auch kein Gutmensch. Aber jedes mal, wenn ich jetzt zum Briefkasten gehe, gehe ich über den kleinen kopfsteingepflasterten Platz, der zu Stosszeiten als Parkplatz für die angrenzende Grundschule dient, an diesem düsteren Gebäudeklotz vorbei. Die bodentiefen Scheiben sind blickdicht mit Milchglasfolie zugeklebt, und dahinter leben Menschen.

 

Man sieht sie nur selten, manche von ihnen nie. Und wenn man mal einen sieht, werden sie von den Anwohnern ignoriert, als seien sie nicht vorhanden. Im Dorfkiosk werden absurde Geschichten verbreitet.  Geschichten, die so absurd sind, dass es weh tut und  es jedem normal denkenden Menschen klar sein muss, dass es nichts als Lästereien sind. Soviel Dummheit auf einem Fleck, das hält man ja im Kopf nicht aus. Geschichten, die mich zur Weisglut bringen. Über andere Religionen und das man das und das gehört hätte. Was diese Flüchtlinge in dem Raum neben der Turnhalle  gesagt oder gemacht oder gedacht hätten. Man wisse das von dem und dem. Es grenzt an Volksverhetzung, was die Leute einfach rumerzählen und ich überlege, ob ich das mal laut sagen soll. Klar, die Leute haben Angst und bringen das wohl so zum Ausdruck.

 

Dabei hat in Wirklichkeit nie jemand einen Fuß in das Heim gesetzt. In Wirklichkeit wurden letztes Jahr um diese Zeit Unterschriften von Tür zu Tür gesammelt, als bekannt wurde, dass eine handvoll Männer übergangsmäßig hier untergebracht werden sollte. Eine Unterschriftenliste gegen die Unterbringung der Flüchtlinge. Man machte sich die Mühe und klapperte mit Reisbrett und Kugelschreiber in der Hand und dem eignen Kind im Schlepptau eine Haustür nach der anderen ab. Natürlich nicht, weil man etwas gegen die Menschen hätte, sondern weil der Raum für die Leute nicht der richtige sei. Man bräuchte die Räumlichkeiten selbst. Es stünden ja genug Wohnungen leer. Da könnten die Flüchtlinge ja hin. Ich habe  nicht unterschrieben, aber die Liste war voll.

 

Drei Tage nach meinem Facebookpost, das ich als Zeichen der Menschlichkeit ein paar Weihnachtplätzchen zum Heim bringen möchte und mich darüber freuen würde, wenn jemand mitmacht, passieren die Anschläge von Paris. Was für eine unbeschreibliche Scheiße. Ich kann es nicht in Worte fassen. Während der Anschläge bin ich zu einem Auftritt unterwegs, und versuche, nachdem mich per whatsapp in Echtzeit die ersten Nachrichten meiner Tochter erreichen, Paris -Bomben - Panik-Tote - Geiseln  die halbe Nacht aus dem Hotelzimmer heraus, meine Tochter zu beruhigen, die alles im Fernsehen live sieht. Während ich mit ihr telefoniere wird das Bataclan gestürmt, die Anzahl der Toten steigt im Minutentakt, ich sage meinem Mann, der zu Hause versucht, meine Tochter zu beruhigen, er soll den Fernseher abstellen. 

 

„Ich mache mir Sorgen um Onkel Frank.“ sagt meine Tochter mit einer winzigen Stimme am anderen Ende der Telefonleitung, „ Und Papa antwortet nicht, ich habe schon Nachrichten am Handy geschickt.“ Ich beruhige sie, so gut es geht, dass beiden und auch der Oma nichts passiert ist. Alle wohnen weit weg von den Bomben. Ich nenne meiner Tochter die Entfernung von Onkel Frank und seiner Freundin Marie, mit denen meine Tochter noch vor ein paar Wochen bei der Oma einen Urlaub verbracht hat und Ausflüge machte,  und vergleiche sie mit denen , die sie von zu Hause kennt. Von uns zu Hause bis nach Ikea. So weit wohnt Onkel Frank ungefähr von Paris weg. Da beruhigt sie sich etwas. Ich sage, dass  Papa sich bestimmt am nächsten Morgen meldet, und dass wir Oma morgen früh anrufen. Ich bin völlig fertig, breche am nächsten Morgen im 10 Minuten Takt in Tränen aus. Als ich am nächsten Mittag nach 3 Stunden fahrt nach Hause komme, steht meine Tochter bleich und traurig im Bademantel vor mir. Ich nehme sie lange in den Arm.

 

Ich kann  14 Tage lang nichts hören und sehen. Außer die Nachrichten im Fernsehen. Ich regristiere die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die nun in Gang kommen, genau. Meinen Plan, Plätzchen in das Heim zu bringen, schiebe ich zur Seite. Nicht aus Angst, sondern aus Wut und Resignation. Ich denke „ Ob ich Plätzchen in ein Flüchtlichgskeim bringe oder nicht, ist sowas von egal... Die Welt im am Ende.“ denke ich.

 

Doch dann kommt am Montag nach dem ersten Advent an der Haustür ein Paket an. Zuerst vermute  ich, das dies endlich die Wellness Hotstones sind, die ich bei Amazon bestellt habe und auf die ich seit 6 Wochen warte, doch beim lesen des Absender wird mir klar, dass es etwas ganz anderes ist : Ein großes Paket voller Weihnachtssüßigkeiten, darunter eine Schachtel mit liebevoll verzierten selbstgebackenen Plätzchen. Susanne , eine Facebookfreundin die meinen Aufruf gelesen hat, hat sie gebacken. Und geschickt. Ihre 5 jährige Tochter hat die Plätzchen sehr aufwändig und liebevoll verziert. Ich schaue das Paket an und halte es in meinen Händen wie einen Monolithen, der aus dem Weltall fiel, um mich an etwas zu erinnern. Nur dieser Monolith kam mit DHL.

 

Ich lege also noch ein paar Schokoweihnachtsmänner und andere Plätzchen oben auf das jetzt überquellende Paket und verstaue den Karton im Kofferaum meines kleinen Ford Ka´s -. Es leben nur Männer in dem Heim. Lieber wäre es mir, ich könnte Plätzchen zu einem Heim bringen, wo auch Frauen und Kinder sind, aber es ist wirklich eine so kleine Unterkunft, dass nur eine handvoll Männer da sind. Also fahre ich da jetzt hin. Ich muss ohnehin zum Briefkasten und meine Tochter von der Schule abholen.

 

Auf dem Parkplatz steige ich aus und bin unsicher, was ich machen soll. Meine Idee war es, einen bestimmten Bewohner, der öfter vor dem Heim saß, um Luft zu schnappen und zu telefonieren, auf englisch anszusprechen, aber den habe ich jetzt länger nicht gesehen. Er ist auch jetzt nicht da, wahrscheinlich lebt er nun woanders.

Ich muss also reingehen. Gibt es eine Klingel dort, ist überhaupt jemand da? Spricht jemand englisch? Gibt es einen Betreuer, eine Art Pförtner, sowas in der Richtung? Ist es albern, dass ich mich, alleine als Frau, unwohl fühle in ein Heim voller Männer zu gehen, egal wo die jetzt herkommen ? 

 

Während einer Party vor mehr als 20 Jahren sind mir mal K.O. Tropfen verabreicht worden, an den Rest kann ich mich nicht erinnern. Nur daran, dass ich Stunden später alleine in einem Bett in einem  Nebenzimmer wach wurde und einen Filmriss hatte. Und das mir im Schritt alles weh tat. Aber was passiert war, bekam ich erst Jahre später zusammen. Ich habe auch Niemanden angezeigt. Deshalb fühle ich mich heute unwohl. Generell, aber vor allem wenn ich mit Männern, egal welcher Herkunft, alleine in einem Raum bin. Wenn man die Tür schließt, ergreife ich instinktiv die Flucht.

 

Diese Männer werden mir aber heute nichts tun, das weiß mein Kopf. Es sind ja nicht alle Verbrecher. Und ich bin eine erwachsene Frau. Nicht, dass erwachsenen Frauen nichts passiert, nur weil sie erwachsen sind. Das meine ich nicht. Was ich meine ist, dass ich weiß, dass mein Gefühl, mich in Unsicherheit zu befinden, aus der Vergangenheit kommt. Und das die Wahrscheinlichkeit, nochmal überfallen zu werden, recht gering ist. Dass es mir nichts bringt, mich aus Angst zu verstecken. Das meine ich.

 

Das Paket lasse ich erst mal im Auto. Ich habe mir überlegt, was ich zur Begrüßung sagen will, der Rest wird sich schon ergeben. Viel Zeit habe ich nicht, aber will jetzt auch gar nicht so lange hierbleiben. Ich möchte mich, alleine als Frau, jetzt und hier nicht auf lange Gespräche einlassen . Und das muss ich auch nicht. Ich möchte nur ein Zeichen setzen. Eine Geste.

 

Die Turnhallentür ist nur mit einem Schnappverschluss versehen und geht einfach auf. Aha, denke ich. Jeder kann also rein, das ist, als wenn meine Haustür den ganzen Tag aufstehen würde. Ich bezweifle aber, dass jemand hier freiwillig zu Besuch kommt.

 

Drinnen schlägt mir Dunkelheit und abgestandene Luft entgegen. Der Türgriff ist schmierig, am nächsten Tag habe ich einen Schnupfen. Die Waschräume liegen direkt gegenüber der gläsernen Eingangstür - wie in einer Turnhalle eben. „Wenn man hier morgens zum Zähneputzen geht, können dass alle auf dem Parkplatz sehen.“ , denke ich. Die beiden Türen sind halb geöffnet und drinnen brennt Licht. An einer der Türen steht "Männer WC", ansonsten ist es dunkel. 

 

Im kargen Marmorflur stehen einige Fahrräder, aber alles wirkt wie tot. Auf aufgedrehten Heizkörpern und auf Wäscheständern im Treppenaufgang zum  Keller hängen mit der Hand gewaschene Sweatshirts zum trocknen. Rechts gibt es einen großen Raum, ähnlich einem Partyraum, mit einer kleinen Pantryküche hinter einem Tresen. Dort stehen ein paar Töpfe und von dort kommt der Essensgeruch, der seit Wochen in der Luft zu stehen scheint. Man kann hier kein Fenster öffnen, denn es gibt keins. Die Badezimmer haben keine Fenster, der Flur hat keine Fenster, und der Partyraum hat eine Glasfront, die man nicht öffnen kann. Der Dunst dringt mir sofort in die Poren und ich habe ein Gefühl im Körper, dass ich erst Stunden später benennen kann: Ich würde es nicht länger als eine Woche in diesem stickigen Mief aushalten, mit meiner Wäsche auf Heizkörpern im Treppenhaus, ohne Kontakte, ohne Arbeit, ohne eigenes Zimmer, ohne Perspektive, an einem Ort, an dem mich der Grossteil der Menschen nicht haben will. Ich würde durchdrehen und wäre innerhalb kürzester Zeit psychisch am Ende. Aber was soll man machen, wenn man keine andere Möglichkeit hat?

 

Lebende Menschen sehe ich keine. Ich höre auch nichts. Vom Flur gehen linker Hand zwei weitere Türen ab, aber die sind geschlossen. Dahinter müssen die Räume sein, in denen die Leute schlafen. Wenn man an der Bushaltestelle steht, oder am Briefkasten, steht man auf der anderen Seite der dazugehörigen zugeklebten Fenster. Und die sind immer auf Kipp. Ich überlege, ob ich den Karton einfach mit einem Zettel auf den Tresen stelle, entscheide mich aber, es später nochmal zu versuchen. Irgendwann wird ja jemand da sein. Einfach abhauen gilt nicht.

 

Gegen 16 uhr 30 fahre ich erneut los, um ein paar Einkäufe zu erledigen und schreibe vorsichtshalber, falls ich wieder niemanden sehe, einen kurzen Brief, den ich dann mitsamt des Paketes einfach auf den Tresen stellen würde. Draußen wird es langsam dunkel. Es regnet seit fast 3 Wochen, der Wind heult, es ist totales Depriwetter. Und dabei viel zu warm für November.

 

„Dear refugees“ schreibe ich auf englisch :  „ ...die Winter in Deutschland sind mitunter sehr grau und regnerisch  und dass sie sich vielleicht über ein paar Süßigkeiten freuen, die ich zusammen mit einer Freundin für sie zusammengestellt habe. Ich schreibe, dass ein 5 jähriges Mädchen die Kekse mit seiner Mutter gebacken hat, dass wir ihnen Glück für dich Zukunft in Deutschland wünschen und frohe Weihnachten. Dazu zeichne ich einen kleinen Tannenbaum mit Kugeln und lege Susannes Karte , die im Paket lag, dazu. Die werden sie nicht lesen können, denn die ist auf deutsch, aber vorne drauf ist ein schönes Bild einer winterlichen finnischen Landschaft. Eine schöne gedruckte Kunstpostkarte auf schwerem, rauhen Papier.

 

Wieder drücke ich die schmierige Türklinke  und die Türe schnappt auf. Drinnen die stickige Luft, der düstere nackte Flur und wieder kein Mensch. Den Karton einfach abzustellen wäre das einfachste, aber dazu bin ich nicht gekommen. Ich rufe ein paar Mal „ Hello ???“ , dann gehe ich auf die beiden Zimmertüren zu. Aus dem linken der beiden Räume höre ich leise Musik, die von einem Handy abgespielt wird. Wer immer da drin ist, hat mich längst gehört. Ich klopfe leise an die Türe und rufe „ Hello?! “ keine Antwort, aber nun raschelt etwas. Ich klopfe noch einmal. „Yes ?!“ eine Stimme von Innen. „My name is Katja and i have something for you ..." antworte ich .

 

Im linken Zimmer höre ich  Stille, dann Schritte zur Tür. Aus dem anderen Zimmer höre ich gar nichts. Die Türe geht auf und vor mir steht ein junger Mann, Ende 20, in knielanger ausgebeulter Jogginghose und Flip Flops. Er schaut mich an als käme ich vom andern Stern , lächelt aber etwas. Er sieht sympathisch aus, aber auch abgeklärt. Als wenn er eine Menge gesehen und erlebt hat und als ob er keine Illusionen mehr hätte. „ Hi, my Name ist Katja..." sage ich. „Me and a friend of mine collected some christmas sweets for you . Do you speak english ? “ „ Ehm, yes, but only a little bit ...“ anwortet der junge Mann, der aber ziemlich gut englisch spricht, wie ich finde. Zeitgleich geht die rechte der beiden Türen auf. Einen Meter von mir entfernt schauen drei Männer um die 40 ig,  in Schlafanzügen, oder Jogginghosen , so genau kann man das nicht mehr sagen, durch die Tür. Sie sehen sehr schlecht aus, haben Ringe unter den Augen.Teigige, total deprimierte Gesichter, die Mundwinkel hängen leblos herunter wie nasse Socken auf der Leine oder die Flügel einer toten Möwe im Wind.  

 

Sie sehen aus, als wenn sie im Zeitkontinuum in diesem Zimmer mit Linoluemboden , in dem es wirklich düster ist , gefangen wären. Sie stecken die Köpfe durch die Türe, dann kommen sie, etwas gebeugt, heraus. Instinktiv gehe ich einen Schritt zurück. Die Männer können nichts dazu, dass ich mich unwohl fühle. Es liegt nicht an Ihnen. Es ist diese absurde Situation. Ich habe Plätzchen im Auto und werde gleich weiter fahren. Sie sitzen hier fest. Können nirgendo hinfahren. Sie werden ein halbes Jahr lang oder länger hier sein und fast nichts von Deutschland gesehen haben. Weder den Rhein noch den Kölner Dom noch ein Kino oder eine Kunstaustellung. Nichts, was ein Mensch, meiner Ansicht nach , braucht, um einigermaßen im Gleichgewicht zu bleiben, vor allem in dieser schwierigen Zeit. Eine Aussicht, eine Perspektive, ein Grund, Morgens aufzustehen und sich was Vernünftiges anzuziehen.

 

Jetzt stehen diese Männer vor mir und ich bin alleine hier, niemand aus dem Dorf wollte mitgehen. Sie sehen nicht aus, als kämen sie aus Syrien. Und Islamisten sind sie sicher auch nicht. Die drei Männer rechts scheinen aus Sri Lanka zu kommen. Bei dem jüngeren Mann kann ich das nicht sagen,  es ist aber auch egal.

 

„Hello, ok, i have got some christmas sweets for you. If you want it, i have it in my car.“ sage ich und  mache eine Handbewegung in Richtung des Parkplatzes. „Yes, Ok, bring it“ antwortet einer der älteren Männer aus dem rechten Zimmer. Es klingt etwas resigniert und mürrisch, aber ich kann es irgendwie verstehen. Und hinter dem mürrischen höre ich Scham. Ich sehe es auch in den Augen des Mannes, wie er da am Nachmitag in seiner Schlafanzughose vor mir steht und so aussieht, als hätte er heute noch nichts anderes gemacht, als auf dem Bett zu liegen und mit seinem Handy im Internet zu surfen.

 

Ich bringe es nicht fertig, mich jetzt auf längere Gespräche einzulassen, nicht in dieser schrägen Situation, und es steht mir auch nicht zu, mich ungefragt in den Alltag dieser Menschen zu drängen.  Sie hatten ja mal ein Leben. Mit ihren Famlien, ihrer Arbeit, vielleicht einem kleinen Haus. Und jetzt sind sie hier.

Mit 4 Mann auf auf einem Zimmer mit abgeklebten Fenstern, aus denen man nicht rausschauen kann. Im deutschen Winter. Das ist deprimierender als Knast .

 

Soviel Depression schlägt mir aus dem rechten Zimmer entgegen, dass ich die Luft anhalte. Dann gehe ich voraus zum Ausgang. Die Bewohner kommen zögerlich mit. Keiner sagt etwas. 

 

Nur der jüngere Mann macht einen relativ fitten Eindruck, vielleicht ist er noch nicht so lange hier.

Er steht mit T-Shirt, Flip Flops und seiner kniekurzen Joggingose im Regen vor dem Eingang und legt die Arme vor dem Bauch zusammen. Sein Handy hält er fest. Nebenan ist  Abholzeit vom Kindergarten, der Parkplatz ist voll und Mütter aus der gehobenen Mittelschicht gehen mit ihren Kindern zum Auto. Eine starrt uns an. Die drei älteren Männer bleiben im Hintergrund  an der Schwelle zum Flur stehen. Sie  trauen sich nicht raus, vielleicht wegen des Regens,  beobachten uns aber genau. Ich hole den Karton aus dem Auto, gehe auf den jüngeren Mann zu und drücke ihm das Paket in die Hand . Oben gucken die bunten Weihnachtsmänner heraus, wir schauen in den Berg von Süßigkeiten hinein. Ein bißchen Obst wäre vielleicht gut gewesen bei dem Wetter.

 

„Ok, these sweets are from the supermarket.“ sage ich. “We hope, you like it. If not, please don´t throw it away, give it to someone else then.“ „ OK. “ sagt der Mann. „But these cookies here were handmade by a friend of mine. A mother and her 5 years old daughter made the cookies for you.“ Ich mache eine Handbewegung in Höhe meiner Hüfte, die die Größe des Kindes zeigen soll. Eine globale Geste, die jeder versteht.

 

„ Oh ok, thank you.“  Eine kurze Pause entsteht, dann schaut der Mann mich direkt an, dann nach oben in den Himmel. „ It´s such an odd weather. “ sagt er , wobei er "odd" und " weather" gleichermaßen betont und es klingt , als würde er sagen „ Das ist so eine beschissene Situation, in der ich hier bin. Ich versuche, positiv zu sein, aber ich kenne mich hier nicht aus. Ich kenne nichts mehr. Und keiner kennt mich.“

 

„ Yes, I Know.“ sage ich und ich glaube, dass ich es wirklich weiß. Ich musste zwar nicht zu Fuß über den Balkan nach Deutschland laufen und mein Leben in einem Boot auf dem Mittelmeer riskieren, aber was ich als 25 jährige erlebt habe, als ich monatelang, nur mit ein paar Habseligkeiten und meiner alten Gitarre in einem Kunstlederetui ohne eigene Wohnung und ohne gültige Papiere ziel- und orientierungslos durch die Stadt irrte, auf der Suche nach einer Möglichkeit, dieser Sackgasse zu entkommen, kommt an dieses Gefühl des verloren seins wohl ziemlich nahe heran. Ich erinnere mich genau, wie fest ich damals im Sumpf steckte und dass ich in all meiner Ausichtslosigkeit meine Hoffnung nicht verlor. Ich wollte leben, ein Zuhause finden. Ruhe im Kopf haben. Ruhe im Leben, um etwas Vernünftiges mit meinem Leben anfangen zu können. Und diese Menschen wollen das auch.

 

„ I know “, sage ich also, „ It is winter in Germany. That`s why we eat so many sweets in december. “ Es wird hart werden für diese Menschen, hier Fuss zu fassen.

 

"Merry christmas and welcome to Germany“ sage ich auch zu den Männern im Hintergrund. Sie nicken mir kurz zu. Dann steige ich in mein Auto und fahre los.

 

Den ganzen restlichen Tag habe ich abwechselnd das Bild des jungen Mannes in Flip Flops und der drei Männer in Schlabberhosen vor meinem geistigen Auge, wie sie am Eingang der Turnhalle in ihrer kleinen, unfreiwillig existierenden Gruppe zusammen stehen. Ich  stelle mir vor, wie das ist , monatelang in so einer Situation zu sein. Fern der Heimat, fern der Familie, fern der Gräber der verstorbenen Angehörigen. Darüber denke ich zum ersten mal nach : wie  es sein muss, gezwungener Maßen den  Ort zu verlassen, an dem die Eltern und Grosseltern begraben sind . Und man weiß nicht, ob und wann man wieder kommt. Wann man wieder eine Blume auf das Grab legen kann . Sicher, all das ist besser als Krieg und Terror. Besser als Hunger und Bomben.

 

Aber es ist auch  weit entfernt von dem, was sich wohl jeder Mensch, egal wo er herkommt, für sein Leben wünscht - und das hat nichts mit der Höhe des monatlichen Einkommens und der damit verbunden Möglichkeit, am Konsum teilzunehmen, zu tun. Es hat etwas mit Würde und Perspektive zu tun.

 

Ich bin froh, dass Susanne mir das Paket geschickt hat, denn ich wäre sonst nicht zum Flüchtlingsheim gegangen und ich habe in diesen paar Minuten viel gelernt. Über mich. Über die anderen. Über uns. Danke an Susanne und ihre Tochter.

 

Ich weiß natürlich, das Plätzchen unsere Probleme nicht lösen. Auch nicht die, die noch auf uns zukommen werden. Aber vielleicht bewirkt es ja doch etwas. Das der eine oder andere die Hoffnung nicht aufgibt.

 

Die Hoffnung auf eine bessere Welt.


vom richtigen Moment.

24.9.2015

Es gibt ja Kunstschaffende, die haben von Beginn eines Projektes an einen klar umrissenen Plan vor Augen, und ziehen den dann – generalstabsmäßig - durch.

 

Zu denen gehöre ich aber nicht.

 

Bei mir ist eine Idee, ein Anfang da, ein Versprechen, dass meine Gitarre mir gibt, ein leeres Blatt, eine Melodie - und dann arbeite ich mich durch alle Instanzen meines neuen Werkes, die nötig sind, bis es fertig ist.

 

Glücklicherweise darf ich das. Niemand kommt vorher und sagt, „So kann man das aber nicht machen.“  

 

Das ist das Wesen der Kunst, der Musik, man schwebt im eigenen Orbit und setzt zur Landung an, wenn man es für richtig hält. Nicht wenn es jemand anders für einen entscheidet – und das ist ein wirklich bedeutender Unterschied.

 

Das macht oft Spass und hält an vielen Ecken und Kanten Überraschungen parat, mit denen man so wirklich nicht rechnet (Türen, die sich öffnen, wo vorher eine Wand war, zum Beispiel – ja, das gibt es wirklich !). Ein spannender, durch nichts zu ersetzender Prozess, der, einmal in Gang gesetzt auch zu Ende getüftelt werden will.

 

Und das hat überhaupt nichts mit Ehrgeiz oder dem bloßen Bestreben, mit seiner Musik gut dazustehen, zu tun. Es hat etwas mit der Verbindung zu sich selbst zu tun, ganz allein in der Wildniss des künstlerischen Schaffens, über die ich schon einmal ausführlicher geschrieben habe, seinen Weg zu finden.

 

Es hat etwas mit Verantwortung zu tun. Für sich und die Leute, die dir wirklich zuhören. Du gibst dich, ohne jede Garantie für irgendetwas, hinein in die Sache. Und dann ist man einige Zeit später eben dort, wo die Reise einen hingeführt hat. Und das ist vielleicht ganz wo anders, als man es sich zu Beginn vorgestellt hat.

 

Dabei gibt es auch Umwege, die sich unter Umständen nicht als hinderlich, sondern am Ende des Tages als das herausstellen, um das es die ganze Zeit ging. Ihr wisst schon, was ich meine. Es ging darum, dranzubleiben, obwohl man hinschmeissen wollte, darum, fernab von jedem Applaus und Siegerpodest für seine Sache zu stehen. Es ging darum, seiner inneren Stimme zu folgen. Aber auch darum, loszulassen, wo es angebracht war. Was nutzt einem schon das verbissene Festhalten an etwas, das nach außen gut  aussieht, im Inneren aber Leere erzeugt?

 

Gar nichts. Und da spreche ich wirklich aus Erfahrung.

 

Heraus kommen manchmal Songs, die man durchaus ausdauernd und zeitintensiv erarbeitet, dann aber kurz vor dem Zieleinlauf doch wieder verwirft. Der Ehemann versteht es nicht, sagt „Wieso, klingt doch super “, aber irgendwas ist dran, das so nicht mehr hinpasst und so sind einige Stunden, ja manchmal auch Tage oder Wochen Arbeit am Ende gar nicht auf dem Album zu hören.

 

Vielleicht ist das Brummen des Gitarrenamps, dass man zu vor einem Jahr noch authentisch fand, jetzt doch zu dominant, so dass eine bessere Version her muss, nur mal so als Beispiel. Und dann muss auch immer das Bemühen her, es nicht zu sehr zu perfektionieren, sondern, wie es Producer Legende Daniel Lanois einmal sinngemäß in einem seiner wenigen Inerviews gesagt hat:

 

"Jede Produktion von Musik hat mehrere Peaks (Höhepunkte), und die eigentliche Kunst ist es, das Werk am höchsten Peak abzuholen und fertig zu stellen. Nicht vorher, bevor man die größte Ausstrahlung erreicht hat, aber auch nicht nachher, den dann hat man unter Umständen alles zu sehr perfektioniert, das es aufgehört hat, zu Atmen, zu leben."

 

In diesem Sinne, stay tuned and hold the line,

eure Katja


warten,warten,warten...

23.9.2015

Viele Filmschauspieler sagen über ihren Beruf, dass die meiste Zeit aus warten besteht. Warten am Filmset bis man dran ist, aber vor allem warten auf das nächste Engagement. Mir geht das als Musikerin auch manchmal so.

 

Warten auf den Anruf des einflussreichen Managers, warten auf den Rückruf der Redaktion, warten auf die nächste Gema-Auszahlung.  Und je unbedeutender ich in den Augen des Anderen bin, desto länger muss ich warten. Warten bis ich dran bin.

 

Dabei habe ich gar keine Zeit mehr, zu warten !

 

 

Und der, auf den man gerade wartet, hat auch gar keine Ahnung, wieviel Zeit und Energie es kostet, so eine Musik zu machen. Ein Fulltimejob. Songs schreiben, Proben, Anreise zum Auftritt, Studioaufnahmen, Fotosession, Videodreh, Interviews, Artwork, Mastering und vor allem PROMOTION.

 

Dazu kommen die ganz profanen Dingen wie die alltäglichen Lebensführung. Und die Tatsache, dass von Cd - Verkäufen heutzutage nun wirklich kaum ein Musiker noch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Wenn man Glück hat, kommen die Produkionskosten wieder rein und ein bißchen was Extra.

 

So ist der Alltag manchmal alles andere als glorreich : Morgens schon rotieren die ersten Aufgaben im Kopf und ist der Abend da, ist nur ein Bruchteil dessen erledigt, was eigentlich erledigt werden wollte. - Bevor man todmüde ins Bett fällt. Vor allem, wenn man, wie ich, Famlie hat.

 

Essen gekocht, eingekauft, Kinder von der Schule abgeholt oder zum Turnverein hingebracht werden sollen, Hausaufgaben betreut, das Haus geputzt, die Katze zum Tierarzt gebracht, der Garten gepflegt, der Flur neu gestrichen werden soll.  Ganz zu schweigen von der Wäsche.

 

Wochentags gebe ich deshalb schon seit Jahren keine Konzerte mehr, da es einfach nicht in das Lebensmodel eines schulpflichtigen Kindes passt, wenn die Mutter über Nacht weg bleibt, wo am nächsten Tag eine Mathearbeit geschrieben wird. Also, zumindest nicht bei meinem Kind. Vielleicht haben andere, größere Stars andere Kinder, die problemlos und pflegeleicht irgendwo geparkt werden können, weil sie daran gewöhnt sind  und die trotzdem frohen Mutes ihren Hochschulabschluss schaffen

.

Oder man fährt einen schicken Bandbus, in dem die ganze Baggage durch die Lande zieht. Haben wir aber auch nicht. Zumal Hausunterricht gesetzlich ja sogar für Zirkuskinder verboten ist.

 

Also fahre ich nur Freitags, Samstags oder maximal Sonntags Nachmittags los, um aufzutreten. Ab und zu nehme ich meine Tochter dann mit, aber dazu hat sie nach einigen Jahren in denen sie sich desöfteren in Hotelzimmern gelangweilt hat,  auch keine Lust mehr, was ich sehr gut verstehen kann.

 

Normale Plattenfirmen, also die, auf die man dann wartet, haben für sowas kein Verständnis.

 

Unter Umständen noch nicht mal die Kollegen. Kann die das Kind nicht betreuen lassen, von einer Nanny? Nein, kann ich nicht. Mein Kind hatte schon genug Unruhe im Leben. Und die Oma wohnt zu weit weg. Also bleibe ich Wochentags zu Hause. So einfach ist das. Das Kind hat eine Erkältung,  deswegen fliegt Madame nicht nach Hamburg zum Pressetermin?

 

Ja, deshalb, die Herren, oder auch die Damen - oder wollen sie ein Kind mit Fieber 24 Stunden lang bei der Nachbarin abgeben? So ist es eben. Mein Beruf passt nicht in die Betreuungszeiten der Kita oder der Ganztagsschule. Damit muss ich mich mit abfinden.

 

Trotzdem schreibe ich Songs und veröffentliche diese auf Tonträgern. Gebe Konzerte.

 

Und wo bitte, schön, bleibt da noch Zeit, auf irgendwas zu warten? Warten auf den Anruf des Konzerveranstalters, des Bandleaders, der Königin von England.

 

Ich gehe meinen eigenen Weg, so gut ich kann. So einfach ist das.

 

In diesem Sinne

 

Ihr Katja Werker


Wie die Zeit vergeht.

10. August 2015

Was soll man machen, als waschechter Zwilling - vom Sternzeichen her jetzt - wenn man sich schlecht entscheiden kann? Weil alles so schön bunt ist.  Punk oder Pop. Hose oder Rock ?

 

Wenn man an allem tage - und wochenlang herumarbeiten muss, bis der Song, das Video wie es sein soll. Wenn es nicht schnell geht, sondern langsam ... weil es mit einem arbeitet, man sich selbst abarbeitet, nicht wie am Fließband, sondern von Innen heraus, so wie es die Sache will.

 

Wenn man eben nicht, täglich  und mit stoischer Disziplin,  ab 10 Uhr morgens die Türe hinter sich zumacht um mindestens 1 Lied zu komponieren. - Und um 4 läßt man den Bleistift fallen und  hat  einen Welthit wie "griechischer Wein. "

 

Wenn man aber auch keine 17 mehr ist und in seinem Mädchenzimmer unbedarfte, unter Umständen etwas schlecht intonierte, Coverversionen auf YouTube einstellt, die dann 600000 mal angeklickt werden

 

Tja, was macht man dann?

 

Man gründet eine one woman Plattenfirma und bestellt sich Flatround Saiten für den E - Bass,  weil man schon immer mal ein wenig  wie ein Kontrabass klingen wollte. Und schaut, was dabei heraus kommt . Man testet die silk steel Saiten für die Folk Gitarre, wegen des schönen, etwas muffigen Tons. Man covert ein Lied,  für das man sich eigentlich zu alt fühlt, obwohl die Komponistin des Songs genauso alt ist wie man selbst. Man schließt  keine Türe zum Song schreiben , weil der Kater, der mir auf Schritt und Tritt hinterher läuft, sonst ein so ein Theater macht, dass man das mit dem Songschreiben erst mal  vergessen kann.

 

Genau genommen habe ich auch gar keine Türe, die ich zumachen kann. Ich habe Familie. Und seid neuestem Hitzewallungen. - In so ausgepägter Perfektion, dass ich ihnen einen Pokal überreichen könnte. Und ich habe aller Wahrscheinlichkeit nach weder einen Welthit in meiner Singer - Songwriter Pipeline, noch werden die 7 deutlichen Zeichen meiner  Hautalterung ohne größeres Eingreifen von außen in diesem Leben nochmal verschwinden.

 

Aber muss ich deshalb verzweifeln? Nein, muss ich nicht. Hadern darf ich. Fluchen auch schon mal. Ok. Wer findet es schon toll, älter zu werden. Doch auch  wenn gerade irgendwie irgendwas zu Ende geht -  eines steht fest: etwas Neues beginnt. Garantiert und auf jeden Fall. - Wenn ich es mir selbst erlaube. Und ich darf sein,  wer ich bin. Ich muss nicht mehr herumsuchen. Das war nicht immer so. Lange hat mich diese Suche nach meiner Mitte auch in persönliche und künstlerische Sackgassen geführt.

 

Ich persönlich bin glücklich, wenn ich, auf Knien herumrutschend, unter meiner Musikstudio Konsole an der Verkabelung herumarbeite, ein paar neue Studioboxen aufbaue oder einen neuen Song aufnehmen kann. Alles Andere interessiert mich an sich wenig. Das ist eben so. Und dass ich , als Frau jetzt, damit ziemlich allein auf weiter Flur stehe, das ist eben auch so.

 

Ich muss nicht Deutschlands Superstar werden oder  Tarzan und/oder Jane  in einem Musical spielen. Oder den Waldwurz, was  immer das sein mag. Wie eine Kollegin, die es vor gut 10 Jahren mal zu einem fast Durchbruch geschafft hat - musikalisch kommerziell gesehen jetzt .

 

Das Übliche : Sieht gut aus, kann man vermarkten, wird gehyped, Album steigt bis in Top 20 ein - und ein halbes Jahr später hört und sieht man nichts mehr. Die Kollegin  ist jetzt auf einer Art Theater Musiktournee unterwegs als der oder die oder das  Waldwurz. Das habe ich recherchiert, als ich wieder mal nicht schlafen konnte - die Hitzewallungen haben nämlich einen wirklich guten Kumpel: die Schlaflosigkeit. Und ich habe dann online mal geschaut , was die Leute, die ich mal mehr oder weniger gekannt habe, heute so machen.

 

Waldwurzelns  damaliger Manager traf mich auf seinen Wunsch hin irgendwann 2005 oder 2006 in Düsseldorf Bilk in einem italienischen Restaurant zum Essen, man wolle mich noch einmal "ganz nach Vorne" bringen, das Zeug dazu hätte ich ja. Aber ich lehnte ab, weil ich mich Tief im Innern dem ganzen Theater nicht mehr  gewachsen fühlte. Und weil der junge Mann, der dann für mich zuständig gewesen wäre und mit am Tisch saß, mir mindestens 2, wenn nicht 3  Nummern zu ehrgeizig war. Er war so entschlossen, mich erfolgreich zu vermarkten, dass ich  das Gefühl hatte, es ging überhaupt nicht um mich, als könnte  er  mit seinem Ehrgeiz im Grunde vermarkten, was er wollte. Autos, Software, den Thermomix, oder eben Musik. Und er übertrat während des gesamten Treffens  die Grenzen meiner Aura, ohne es zu merken, aber wie soll man das jemandem erklären. Dass man eine Aura hat , die Andere zu respektieren haben. Das würde er wahrscheinlich für verrückt halten. Eine Aura - so ein Quatsch. Also lehnte ich ab .

 

Man nahm es mir ziemlich krumm , dachte vermutlich : Soll sie doch froh sein, dass sich jemand um sie kümmert. Stimmt ja auch, vom Prinzip her, aber ich wollte einfach keine Bauchlandung riskieren.  Nicht so eine, nicht zu diesem Zeitpunkt meines Lebens. Ich hatte einen Manager gehabt, in Hamburg. Eine kurze, besondere, magische Zeit, das dazugehörige Album chartete, aber die war vorbei. 

 

Das realisierte ich  aber erst im Düsseldorfer Restaurant, hätte ich es früher verstanden, dass ich mit dieser Musikindustrie einfach nicht zurecht kam, hätte ich mir selbst und denen, die versuchten, mit mir zu arbeiten, vieles erspart. Aber so ist es eben im Leben. Wir kommen auf die Welt und lernen. Keiner kommt drumrum.

 

Die damalige  Frau des Waldwurz Managers, hieß Jenny und die  hatte, wieder 10 Jahre später, vor laufender Kamera im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ich glaube, es war bei der Präsentation ihrer Schmuckkollektion) einen  Alkohol Absturz, der in die Medien - Geschichte einging.

 

Aber das ist eine andere Geschichte.

 


Die wunderbare Welt des Magnetismus

2. März 2015

Ich war schon immer ein Kinofan.

 

Damals in Hamburg, ohne Freunde aber mit Majorplattenvertrag, wohnte ich im Stadtteil Ottensen in fußläufiger Nähe zu den “Zeise – Hallen”,  in denen neben aktuellen Blockbustern auch Hitchcock – Klassiker und Independent Filme liefen. Mangels anderer Anregung ging ich wochenlang jeden Tag ins Kino, brachte dort einen Großteil meines Plattenvorschusses durch  und fühlte mich dabei wie ein Cowboy in der endlosen Weite der Prärie. Diese Liebe zum Kino begleitet mich bis heute.

 

Ich liebe entschleunigte Filme mit guter Story und sehr guten Schauspielern , aber auch Blockbuster wie Interstellar fand ich, nicht zuletzt wegen der wirklich  guten und liebevoll gemachten Spezialeffekte, absolut grandios. 08 /15 Storys sind dagegen nicht so mein Fall, unabhängig davon, wie viele Leute diese Filme sehen wollen.

 

Ende 2009, als ich  versucht war,  musikalisch die Flinte ins Korn zu werfen, weil ich mich dem ewigen Druck und Konkurrenzkampf der Musikindustrie nicht mehr gewachsen fühlte  ( nicht zuletzt weil ich mich mit meinen damals 39 Jahren zu alt fühlte, um irgendwie stattzufinden ) sprang mich vom Hochglanzpapier eines  grossen deutschen Wochenmagazins ein Gesicht an,  das sehr freundlich in die Kamera lächelte, die Hände vor dem Kinn zusammengelegt.  

 

Frank Langella.

 

Ich schnitt dieses Foto aus, nachdem ich die dazugehörige phänomenale Geschichte verschlungen hatte, klebte es auf ein Stückchen Pappkarton und steckte es in einen Aufsteller. Seit dem steht es, zusammen mit einem Passfoto von mir aus diesem Jahr, inmitten eines Sammelsuriums von Erinnerungen und Fundstücken, einer Art persönlichem Künstlerschrein.

 

Frank Langella ist ein amerikanischer Schauspieler, Jahrgang 1938 (!) ,  den man in der ewigen besten Nebenrolle aus unzähligen Hollywood Produktionen kennt – und doch nicht kennt. Denn er war eben immer die beste Nebenrolle.

 

Langella, ein grosser, feiner Mann mit viel Ausstrahlung und von italienischer Abstammung, war in den  späten 70 iger Jahren unter anderem  mit der Hauptrolle in einer sehr speziellen und bis heute von vielen Filmfreunden als beste Intepretation ever  von  “Dracula” ein gefeierter Newcomer und Tony Award Gewinner.

 

Man sagte man ihm wegen seiner  Ausstrahlung und seiner Klasse als Schauspieler eine Weltkarriere vorraus, doch immer wieder wurde es still um ihn und er verschwand für Jahre von der Bildfläche, was vielleicht auch daran lag, dass er bestimmte Dinge, die Regisseure oder die Filmstudios von ihm verlangen, einfach nicht machen wollte, weil es seiner Überzeugung wiedersprach.

 

Blut im Gesicht zum Beispiel – dagegen hat er sich monatelang und mit Erfolg standhaft gewehrt, weil es nicht zu dem romantisch- düsteren  Charakter passte, den Langella als Dracula  entwickelt hatte. Dazu muss man wissen, das Langella mit einem Dracula- Theaterstück, das eben diesen Charakter beschrieb, schon jahrelang am Broadway großen Erfolg hatte. Und wegen diesem Theaterstück  waren die Produzenten  erst auf ihn zugekommen und  der Kinofilm realisiert worden – mit Frank Langella in der Hauptrolle . Nun wollten die Produzenten aber mitten im Dreh Zähne und Blut, weil der Zuschauer – so die Ansicht des Filmstudios - es so möchte. 

 

Aber Langella weigerte sich. Auch wollte er sich nicht auf einen Typus festlegen lassen und schlug später daher jedes Filmangebot, dass auch nur im entferntesten seine Rolle als Dracula kopierte, aus.  Er fürchtete, dass diese Rolle bis in alle Ewigkeit wie ein alter Kaugummi an ihm kleben würde – und so bleibt seine Fassung von Dracula mit der wunderbaren Kate Nelligan als weibliche Hauptrolle und Laurence Olivier als van Helsing bis heute unerreichter Kult. 1979 !

 

Langella trat in den folgenden Jahren in der anfangs beschriebenen ewigen Nebenrolle in etlichen Kinofilmen (unter anderem an der Seite von Whoopi Goldberg, mit der er einige Zeit liiert  war)  auf, und als Theaterschauspieler in Erscheinung und erhielt für diese Leistungen am Theater mehrere Auszeichungen. Überhaupt bezeichnet Langella das Theater als seine große Leidenschaft, die Herausforderung, jeden Abend aufs neue sein Publikum zu fesseln, hat es ihm angetan und ich kann dieses als Musikerin natürlich nachempfinden. Es geht eben um den Magnetismus.

 

Doch zurück zu dem Foto im Hochglanzmagazin und der Geschichte, die sich dahinter verbarg: 2009, erhielt Langella, mittlerweile seit etlichen  Jahren als Filmschauspieler mehr oder weniger vergessen,  die Rolle des Richard Nixon und  studierte die originalen Aufnamen des Nixon Interviews mit  David  Frost (in Zeitlupe !) ,   bis jede Geste, jeder Wimpernschlag saß. Für diese Vorstellung erhielt er im Alter von 70 jahren (!) seine erste Oskar Nominierung und war aus der Vergessenheit wieder ans Licht gekommen. Unfassbar.

 

Diese Geschichte hat mich so fasziniert, dass ich mich lange damit beschäftigt habe. Was ist eigentlich Erfolg, was ist Zeit, was bedeutet es, zu altern. Bin ich jemals für irgendetwas zu alt?  Geht es nicht vielmehr darum, sich immer wieder Ziele zu stecken, um innerlich zu wachsen ? Und darum, eben das zu tun, wozu ich heute im Stande bin, anstatt mich darüber zu grämen, dass ich da und da nicht perfekt war, es nicht geschafft habe ?

 

Frank Langella ist für mich einer der besten Schauspieler der Welt, vor allem auf Grund seiner Freundlichkeit , die ihm ins Gesicht geschrieben steht . Jack Nicholson, Harvey Keitel, Dustin Hoffmann, Anthony Hopkins, Al Pacino, Robert De Niro,  sie alle sind berühmter als Langella ( und werden es auch bleiben) aber da gibt es etwas, was mich – neben der puren Freude, seine Filme zu sehen – fasziniert: Während sich erstere mehr oder  weniger  von der aktiven Schauspielerei zurück gezogen haben und höchstens mal als Ehrengast bei einer Preisverleihung in Erscheinung treten, dreht  Langella -  und ich bin nicht die einzige, die das so sieht  – in den letzten 10 Jahren die besten Filme seiner Karriere.  Als gleichwertiger Partner so wunderbarer Schauspieler- Innen  wie Elliot Gould, Susan Sarandon, Kirsten Dunst und Ryan Goslin. Und jedesmal, wenn ich eine neue DVD einlege und  gespannt darauf warte, was passieren wird, ist es für mich wie eine Expedition in eine wunderbare, mir bis dato völlig unbekannten Welt.  Was für ein Schauspieler !

 

Und ich werde auch erfinderisch : Anfangs aus der Not heraus, da einige seiner Filme  nicht für den europäischen Markt synchronisiert wurden, nun mit voller Überzeugung, weil es einfach so phantastisch ist, seiner Stimme zuzuhören und wie er die Worte ausspricht, ihnen Bedeutung verleiht, sehe ich mir mittlerweile von vorn herein alle Filme mit Frank Langella im  O- Ton an, auch wenn die synchronisierte Fassung auf der Dvd zu haben ist. Langella ohne seine sonore, kraftvolle Stimme? Undenkbar.

 

So begleiten mich seine Filme wie eine kleine Reise durch die gesamte Produktion meines Albums, an dem ich gerade arbeite. Wenn es zäh wurde und ich den Mut verlor, was öfters mal der Fall war, schaute ich mir Langellas Foto in dem Aufsteller an, wie er da seit sieben Jahren vom Papier herunterlächelt….und dann ging es wieder ein Stückchen  weiter.

 

Jetzt bin ich fast fertig mit meinem Album und habe alle Filme die ich irgendwie, irgendwo, über Amazon, gebraucht oder  als Us Import  bekommen konnte, im Regal stehen. – Absolut ungeschlagen an der Spitze : “Starting out in the evening” in dem Frank Langella - in der realen Welt tatsächlich  in New York lebend, einen alternden, ehemals sehr gefeierten Schriftsteller spielt, der in seiner Wohnung in der Upper – Westside von der Welt vergessen wurde und der nach dem Verlust seiner Ehefrau seit 10 Jahren einsam aber diszipliniert an seinem letzten Buch schreibt. Und nicht fertig wird. – Bis er von einer Literaturstudentin, die alle seine Bücher kennt und eines davon besonders liebt, als Thema für ihre Doktorarbeit ausgewählt wird und diese Begegnung sein ganzes Leben auf den Kopf stellt. Immer wieder besucht sie Ihn in seiner etwas verstaubten New Yorker Wohnung um Ihn zu interviewen, bis  der Mann hinter der Fassade  zum Vorschein kommt. Ein langsamer, wunderbarer, unfassbar spannender Film, voller Magie, an deren Ende sich der Schriftsteller befreit und sein Manuskript unvollendet beiseite legt – in Erkenntnis, dass es Ihn in die Einsamkeit verdammt. In der letzten Einstellung tippt er die ersten Worte für ein neues Buch, unwissend darüber, ob ihm die Zeit bleiben wird, es zu vollenden. Grandios, mehr kann man nicht dazu sagen.

 

Langella hat einige Interviews gegeben , die man auf YouTube sehen kann, in denen er unter anderem die Prozesse beschreibt, die er als Künstler durchlebt,  und was er sagt, gehört für mich  zum Besten, was ich jemals über dieses Thema gehört habe. Der Mann sollte Professor werden – das Zeug dazu hätte er.

 

Während nach und nach seine  Generation abtritt, steht er da, auf diversen Empfängen der langsam in sich selbst zusammenfallenden Filmindustrie, an die  1,90 Meter gross und mittlerweile etwas gebückt, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Ein Mensch der , danach gefragt, jungen Künstlern rät, auf sich selbst zu hören und an dem festzuhalten, an das man glaubt.  Ein Schauspieler, der von sich selbst sagt, dass es ihm nicht darum geht, besonders clever  dieses oder jenes Gefühl zu spielen, sondern darum, dass jemand, der seine Darbietung  gesehen hat, nachher sagt, er habe etwas besonderes gefühlt als er den Charakter betrachtete. Ein Künstler der sagt, dass, wenn man nicht Nachts um drei Uhr wach wird, weil man für seine Rolle brennt, es am besten sein lässt, geht es einem nur um den Erfolg oder das berühmt sein.

 

Ich habe noch eine Wunschliste von Dingen, die ich gerne einmal  machen würde , bevor mein Leben irgendwann zu Ende geht: und neben Dingen wie “ tauchen lernen ”, “ ein Drehbuch schreiben ”  und  “ noch mal in die Toscana fahren  ”   steht dort

 

“Frank Langella einmal live auf der Bühne erleben”.

 

Dazu müßte ich aber meine Flugangst überwinden und nach New York fliegen.

Ich arbeite daran.

 

Danke, Herr Langella für die letzten Wochen. Sie haben mir sehr dabei geholfen, mein Album fertig zu stellen und ich werde Ihnen eine Cd nach New York schicken. Vielleicht habe ich Glück und ihr Agent leitet meine Sendung an Sie weiter.

 

In diesem Sinne

herzlichst Ihre

 

Katja Werker


Das Universum

23. Januar 2015

Man steckt einfach nicht drin, ich sag es ja immer wieder. Im täglichen Klein – Klein einer Musikerin, die sich im Augenblick selbst managed, vergesse ich es auch immer wieder: Es kommt immer anders als man gerade denkt. Immer !

 

Seit fast einem Jahr arbeite ich zum Teil 14 Stunden am Tag an der Fertigstellung und Veröffentlichung meines ersten englischsprachigen Albums seit “Dakota” und habe das Gefühl, dass mir hier etwas besonderes gelungen ist. Besser gesagt gelingt, denn ich bin noch nicht fertig.

 

Zum einen bin ich , nach diversen Ausflügen in andere Richtungen, ganz zurück zum Ursprung gegangen in der Instrumentierung und der Art , wie das Album aufgenommen ist. Zum anderen entfaltet sich  in meiner Musik eine gewisse Weichheit, von der ich denke, dass sie eventuell auch anderen gefällt. Aber man weiß es eben nicht.

Deshalb schwimme ich im Orbit des kreatives Stroms umher und hoffe einfach, dass ich es richtig mache. So heißt dann auch das Album : “Swimming in the sea of wilderness” , wobei wilderness die innere Wildnis beschreibt, in die ich mich als Künstlerin begeben muss, sobald ich ein neues Werk schaffe. Eine Wildnis, in der existenziell nichts zählt als ich selbst und das, was ich am Ende des Tages zu schaffen in der Lage bin. Und immer wieder die Frage : “Kann ich es wirklich ? ”

 

Es ist ein wenig so, als würde ich nur mit einem Survival Paket bestehend aus einem Briefchen Streichhölzern, einem großen Messer (mit Sägefunktion) und einer Decke, vielleicht ein wenig Proviant,  im Wald überleben müssen. Auch Nachts. Und alles, was ich tun kann, wirklich tun kann ist, darauf zu vertrauen, dass dieses Universum, aus der all diese Ideen kommen, sich letztlich um mich kümmert. Dass alles gut wird. Dass die Dinge sich letztlich zusammenfinden. Ich weiß, dass das Universum existiert als beschützende Kraft . Auch wenn  ich es in der Mühle des Alltags, die auch vor einer Musikerin nicht halt macht, regelmäßig vergesse.

 

Und dann, nachdem es sich monatelang  eher wie richtige Arbeit anfühlt als nach freischaffender Kunst, ein Phase, die bisweilen sehr einsam sein kann und durch die ich eben durch muss - sendet das ZDF  am gleichen Tag, an dem ich den entscheidenden Schritt in Richtung Endmix für mein neues Album gehe  - zur besten Sendezeit –  meinen Titel “carried the cross”  ausgiebig als Filmmusik  . In der Serie “Marie Brand” !!!

 

Ich selbst weiß nichts davon, bis mir jemand am nächsten Tag auf Facebook schreibt, wie gut ihm das gefallen hat. Ich poste ein wenig herum, um staunend  herauszufinden, dass das ziemlich viele Leute  gesehen und gehört haben und dass der Titel und das dazugehörige Album “contact myself ” – 15 Jahre nach erscheinen der Cd – auf Platz 12 (!!!) der Amazon mp3  Pop Charts ist.

 

Mir fehlen die Worte, liebes Universum.

Da hast du dich ja wirklich selbst übertroffen.


Wie ich mit Van Morrison zu Mittag aß (Teil 4 : finally arrived)

16.November 2014

Als ich am Dienstag Morgen gegen 10 Uhr 30 in den Real World Studios ankam, waren Stuart Bruce und Oli Jacobs seit 9 Uhr damit beschäftigt, die Mikrofone für mich einzurichten. Ein Telefunken Röhrenmikro für die Stimme, (später ein Neumann, dass wir aber am 2. Tag wieder abbauten) das diese wunderbar seidig und weich einfing, ein Schoeps Stereopaar für die Gitarre dazu zwei Paare Overheads für den Raumsound. Für meine Hagstrom Bariton E – Gitarre hatte Stuart zwei Gitarrenverstärker aufgebaut.

 

Nach einem kurzen Soundcheck spielte ich noch vor dem Mittagessen mehr aus Zufall “bloodbuzz ohio ” von the national  ein und war froh, dass Stuart nicht bei jedem kleinen Rascheln meines Sweatshirts oder Quietschen meiner ewig wippenden Füße die Aufnahme wegen “Störgeräuschen” stoppte. Wir hatten darüber am Tag zuvor im ” the pig and the fiddle ” gesprochen. Wie ich es hasste, von überperfektionistischen Tonmeistern bzw Produzenten auseinandergenommen zu werden, bis ich keinen Ton mehr herausbrachte. Oder nur noch solche, mit denen ich mich später schlecht identifizieren konnte. Wir hatten uns darauf geeinigt, die Aufnahme unter allen Umständen laufen zu lassen , bis wir einen  guten, in einem Durchgang gespielten Take hatten.

 

Es fiel mir wirklich schwer, das zu akzeptieren, obwohl es ja meine eigene Idee war, denn 20 Jahre im Musikgeschäft hatte mich auf eine paranoide Weise gelehrt, lieber pefekt zu sein als lebendig. Und je genauer man hinhörte, desto mehr “Unperfektheiten” waren ja  auch zu hören.   Auch ein Grund, warum ich seit Jahren  mehr oder weniger zurückgezogen meine CDs selbst produzierte. Mit dieser Strategie hatte ich es auch hinbekommen, einige gute Produktionen selbst zu realisieren, aber ich wollte über diesen Punkt hinaus. Ich wollte mich fallen lassen, umsorgt sein, darauf vertrauen, dass dieser große Mann  hinter der Glasscheibe für mich arbeitete und nicht gegen mich. Ich wollte diesen ehrlichen, feinen, lebendigen britischen Sound, also musste ich auch lebendig sein. Ich wollte einfach alles loslassen.

 

Und es war ein Wunder, denn es funktionierte.  Das, was diese Gegend, dieses Gebäude, diese Menschen ein – und ausatmeten, all das vermischte sich mit meiner eigenen Geschichte und den Tönen die ich von mir gab . Kein plugin dieser Welt konnte diese Athmosphäre ersetzen.

 

Wir arbeiteten uns bis zum Mittagessen voran und Oli, der die Aufnahmen als angestellter Real World House Engineer alleine gemanaged hätte, hätte ich Stuart nicht engagiert, fügte sich einfach perfekt in unser kleines Produktiosteam ein. Stuart veränderte hi und da die Mikrofonie, baute Stellwände um und  die Gitarrenverstärker auf und wieder ab – und Oli half ihm dabei. Es machte ihnen Spass, und deshalb machte es mir auch Spass. Kein mürrisches Zeitungsgelese am Mischpult, kein wortloses Mißtrauen meinem Urteilsvermögen gegenüber weil ich mit  XX – Chromosomen geboren wurde, kein Toningenieur und Studiobesitzer, der während der laufenden Aufnahmen seine Hose umsäumt (!), keine total betrunkenen, unflätig werdenden Musikproduzenten, keine fragwürdigen Andeutungen, Seitenblicke, Untertöne.  Nur die Gitarren, meine Stimme, der Raum und wir. Das Paradies.

 

Oli holte in den Aufnahmepausen englischen Tee mit Milch und 2 Stück Zucker – starken, guten,  schwarzen Tee, wie ich ihn zu Hause nie hinbekomme und auf einigen der Tassen war das aktuelle Peter Gabriel back to front logo abgedruckt . Was wollte ich mehr. Ich fühlte mich erwachsen aber nicht festgefahren. Ich hatte Angst, aber die gehörte nun eben dazu. Ich war nicht perfekt, aber das erwartete hier auch niemand von mir, denn alle die hier arbeiten, sind Profis und haben verstanden, dass Perfektion überhaupt nichts bedeutet, solange man keine Gefühle zeigt.

 

Kurz  vor dem Mittagessen war es Zeit, mein Zimmer  zu beziehen und wir gingen vom Aufnahmeraum über den knirschenden Kies hinüber in das Guesthouse, von dem ich leider keine Fotos gemacht habe. Es war, als würde ich in ein Heiligtum eintauchen und als würde ich es   verraten, würde ich Fotos von den Innenräumen der Residenz machen, und diese anderen zeigen, also ließ ich es sein. Es ist ein unausgesprochenes, ungeschriebenes Gesetz, was diese inneren Kreise der Studios betrifft : Alles was man privat mitbekommt, von Leuten, die durchaus Weltstar Status haben, was sich offenbart an persönlichen Schwächen oder Stärken, bleibt hinter diesen Mauern, in den Räumen, hinter einer unsichtbaren Membran, die das Künstlerdasein in all seiner Verletzlichkeit vor der Außenwelt schützt. Nur so kann man sich im geschützten Raum öffnen, sicher sein, dass niemand einen schon morgen so verletzlich ablichtet und ausverkauft.

 

Lieber nahm ich diese Bilder in meinem Herzen mit nach Hause. Die Eingangstüre  ist  mit einer grossen , einem Kirchenfenster ähnlichen Glasintarsie besetzt. Die Möbel sind antik  und etwas zusammengewürfelt, ein hochwertiges Sammelsurium der letzten 25 Jahre Studiogeschichte. Kunstbücher über Fotografie stehen in Regalen und  all dieses schöne Ambiente hat gar nichts von falschem, leeren, protzigen Luxus.

 

Ich bekam ein sehr sehr schönes, hell gehaltenes Zimmer mit großem Badezimmer, geschwungenen Wasserhähnen und weichen Teppichen im ersten Stock des Hauses. Vom Schlafzimmerfenster aus sah ich auf einen kleinen Pavillion, in dem ein Billardtisch stand, den jedoch im Augenblick niemand benutzte . Im sonst tipp top gepflegten Studiokomplex war das die einzige Unperfektheit : jemand hatte eine benutzte back to front – Tasse auf dem Fensterbrett stehen lassen und wenn ich aus meinem Zimmer nach draußen sah, schaute ich auf diese Tasse und stellte mir vor, von wem sie wohl stammte.

 

Unten im Parterre befindet sich das Herzstück des Studios: die Küche mit dem angrenzenden Speiseraum, in dem sich mehrmals am Tag zu festen Mahlzeiten alle “Bewohner ” der Studios treffen und miteinander über das, was sie gerade machen, beim Essen sprechen. So werden die neusten Technologien diskutiert und jeder hält den anderen über die latest News auf dem laufenen. “Peter is touring in England in december .”  “Oh,is he ?!”… Der französische Koch und seine Mitarbeiterin aus Nordengland waren so unfassbar freundlich und fähig,  dass es eine Freude war. Das beste Essen, das ich in meinem ganzen Leben bekommen habe.

 

 

Während ich noch einige Sachen aus dem Aufnahmeraum in mein Zimmer bringe, trifft mich gänzlich unvorbereitet die Neuigkeit, dass Van Morrison mit seiner gesamten Crew seit Anfang der Woche im big room , also nur einen Steinwurf vom wooden room entfernt, in dem ich gerade stehe und an meinen Sachen herumsortiere, an Aufnahmen für sein neues Album arbeitet. ” Van Morrison is here ?!” Direkt nebenan im big room ?!  Mir bleibt für einen Moment die Luft weg. Natürlich fragte ich mich im Vorfeld dieser Reise, ob auch bekannte Leute dort sein und ich sie treffen würde, aber nun stelle ich fest, dass ich gar nicht weiß, wie ich darauf reagieren soll. So sehr bin ich mit meiner Gitarre und meiner Performance, der an einigen winzigen Stellen doch mehr Vorbereitung gut getan hätte, beschäftigt.

 

Van Morrison ist nebenan und gleich gibt es Essen. Der Koch wartet schon.  Stuart rät mir, Van nicht direkt anzusprechen, er sei da sehr empfindlich da er extrem schüchtern sein. Wobei schüchtern eigentlich kein Ausdruck dafür sei, was Van Morrison ist. Stuart hat schon einmal eine Aufnahmesession für ein Van Morrison Album geleitet. “Don´t talk to him .”  “No, no …! ” antwortete ich, denn ich bin genauso schüchtern und froh, wenn ich es ohne Schweißausbrüche schaffe, mich mit mir unbekannten Personen zum Essen an einen Tisch zu setzen. Auch wenn die nicht Van Morrison heißen.  Nie im Leben würde ich von mir aus die anderthalb Meter vom woodroom über den Flur in den bigroom überqueren, obwohl ich es könnte, wenn ich es wollte. Einmal in real world, gibt es kaum verschlossene Türen. Aber es ist mir heilig. Ich bleibe  in meinem Terrain, und gerade deshalb ist mir diese Begegnung einer der intensivsten geblieben.

 

Wenige Minuten später betreten Stuart, Oli und ich den Speiseraum und da sitzt er. Jetzt trifft es mich doch wie ein Stromschlag. Ungefähr so habe ich mich auch gefühlt, als ich 2004 nach einem Konzert der growing Up Tour in Köln auf der Aftershowparty einmal Peter Gabriel vorgestellt wurde. “Hey Peter, this is Katja. A very talented artist from Germany.” Peter steht vor mir, gibt mir die Hand, ich bringe nicht weiter heraus als “I am very pleased to meet you, Peter. ” Was sollte ich auch sagen. Mein Herz schlug bis zum Hals, der Schweiß brach mir aus, meine Hände wurden feucht, so schüchtern war ich.

 

Durch den ganzen Speiseraum muss ich laufen , an Van vorbei, der schon beim Nachtisch ist, als wir hereinkommen und so nehme ich, die Frau aus Deutschland, neben  Van Morrison Platz . Bestimmt 40 Minuten sitzen wir nebeneinander, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Stuhl an Stuhl an diesem riesigen Esstisch aus schwerem, alten Holz.   Van spricht mit Kenny, seinem Chef Engineer, der aus den Abbey Road Studios in London angereist ist. Aber wegen des irischen Akzents verstehe ich kein Wort, worüber quer über den Tisch Witze gemacht werden, weil die Engländer im Raum genauso wenig verstehen. Sie feixen und ziehen sich gegenseitig auf, bringen ihre Dialekte zum Vorschein – Es ist sehr lustig.

Nach und nach geht jeder einzelne der Crew wieder in den Big room , um weiter zu arbeiten. Aber Van bleibt noch sitzen. Ich mustere Van, obwohl ich es eigentlich nicht will, von der Seite. Soll ich mich zu ihm hindrehen und doch etwas sagen? Aber was? “Hello Mr. Morrison? ” Das ist doch albern. Van mustert mich auch, schaut von der Seite, wenn ich nicht hinschaue. Natürlich hatte ich höflich gegrüßt, als ich mich setzte, Van aber nicht direkt angeschaut und seitdem weitesgehend geschwiegen.

 

Van Morrison, er hat mir, wie so vielen anderen Menschen, immer sehr viel bedeutet. Die erste Lp, die ich mir  von meinem eigenen Geld gekauft hatte, war “Moondance” gewesen und ich habe sie immer noch. Ich erinnere mich genau, wie ich, höchstens 17 Jahre alt,  diese  damals eigentlich schon antike  LP aus den 70 igern   lange betrachtete und  ihr Gewicht in meiner Hand abschätzte. In diesem  damals sehr angesagten Schallplattenladen in Köln, wegen dem ich extra dorthin gefahren war, hielt ich diese LP, die fast so alt war wie ich selbst, in der Hand und begutachtete  den Mann in dem engen Bühnenoutfit, für das er eigentlich zu klein war, das ihm aber trotzdem stand,  und stellte sie immer wieder zurück ins Regal , weil ich die Musik nicht kannte und  ich mir nicht sicher war, ob sie  mir gefallen würde. Nachdem ich stundenlang umhergetigert war, kaufte  ich “Moondance ” , zusammen mit einer anderen LP, an die ich mich nicht mehr erinnere.

 

Später zu Hause dauerte es einige Monate, bis ich alt genug war, um dem Zauber dieser Musik zu erliegen. Aber als ich es tat, war ich von Van Morrisons Stimme tief berührt und beeindruckt. Ich sah Van Morrison dann Mitte der 90 iger Jahre, es muss die Zeit gewesen sein, in der er “the healing game”  veröffentlichte,  in  der Dortmunder Westfalenhalle beim legendären Rockpalast Konzert mit Candy Dulfer. Ich stand in der ersten Reihe, rechts an der Bühne  und  Morrison, der schon mal die Freigabe für ein solchen TV Mitschnitt verweigert, wenn er den Eindruck hat, er war nicht gut genug, sagte zum leitenden Redakteur : “Das können sie alles senden. ” 

Ein unfassbares Konzert, das  als eines der best ever  Rockpalast Konzert in die Musikgeschichte einging und das mein Leben für immer verändert hat. Was für ein Musiker, was für eine Power, was für eine Leidenschaft, was für eine straightness, was für ein Timing, was für eine Band.

Und die einzige Geste, die Van Morrsion in zweieinhalb Stunden mit seiner unfassbaren Ausstrahlung machte war, am Ende der letzten Zugabe einmal den Mikrofonständer kopfüber in die Luft zu heben, so dass er wie ein Ausrufezeichen für das, um was es im Leben eigentlich geht, senkrecht nach oben zeigte. Dann ging er , während die Band  noch weiterspielte, von der Bühne.

Dieses Konzert war nicht irgendein Konzert für mich. Es war ein Wendepunkt , ein Grund damals, weiterzukämpfen, und mich  aus dem Morast von  Problemen, in dem ich zu dieser Zeit bis zum Halse feststeckte , zu befreien. Ich drohte zu ertrinken und diese Energie auf der Bühne der Dortmunder Wesfalenhalle hinderte mich daran, unterzugehen.

 

2014 , Ich sitze hier, er sitzt dort. Ich bin eine kleine Singer –  Songwriterin, er ist ein Weltstar, also halte ich den Mund und habe Respekt vor diesem wunderbaren Künstler. Das er als Mensch wohl etwas sonderlich ist – zumindest sagen das einige Leute- , und durchaus ungehalten werden kann, fühlt er sich unwohl oder bedrängt, ist mir egal. Ich habe ein Ziel vor Augen , ich möchte mein Bestes geben, das Beste was ich jetzt zu geben im Stande bin. Kurz darauf steht Van Morrison auf und geht mit etwas windschiefen Schritten davon. Während die Crew im Big Room darauf wartet, dass es weitergeht, packt Van Morrison im 1. Stock seine Sachen und fährt einen Tag früher als geplant nach Hause.

 

Am Mittwoch morgen spielte ich auf Peter Gabriels Boesendorfer Flügel, der im Wooden Room etwas verwaist herumstand und diese Akkorde lösten die letzten Zweifel in mir auf. Peter Gabriels Flügel. Ich genoß diese Stunde, bevor Oli und Stuart kamen und probierte noch diverse Tasteninstrumente aus, die vor Ort sind . Als  Oli mich spielen hörte, improvisierte er auch ein wenig am Flügel und ich hörte sofort, dass er es konnte. Spontan übten wir  “mercy street ” , das ich eigentlich alleine an der Gitarre performen wollte, zusammen, Oli und ich. Nachdem wir das Instrument  aus der Ecke gerollt und mikrofoniert hatten, nahmen wir einen live take dieses Songs für mein Album an Peter Gabriels Flügel auf. Magisch. Ich werde es niemals vergessen.

 

Oli brachte mich an diesem zweiten Abend in den Big Room  und dann in Peter Gabriels privates Studio, das sich etwas versteckt hinter ein wenig Botanik in einem Anbau befindet. Ich stand in diesen Räumen voller Trommeln, Tasteninstrumente und Erinnerungen . Die Quadratmeter, in denen all diese Musik enstanden war, in dem dieser Mensch gearbeitet und geatmet hatte und ich wußte, dass mich dieser Einblick für immer verändern würde. Ich war nicht mehr die “Lumpenliese”, nicht mehr die Tochter eines  arbeitslosen Vaters, ich war angekommen. Ich war die Gründerin von “Küchentisch Productions,” die Frau mit der Stimme, die bis hierher gekommen war.

 

Am Ende dieser zwei Tage waren alle meine Songs aufgenommen ich hatte, ohne es zu wissen, mit dem Ehemann von Melanie Gabriel zu Abend gegessen und mich mit ihm über die zuweilen anstrengende Aufgabe, ein Kleinkind zu versorgen, unterhalten. Peter Gabriels` Verleger war  in meine Aufnahmesession gekommen und sagte mir , ihm habe meine Coverversion von “mother of violence ” gut gefallen und er würde immer schauen, was ich so mache. Ich stellte fest, dass Engländer wirklich sehr sehr lustig sind und das protools  wegen der Echtzeit, in der man Audiofiles in diesem Programm exportieren muss dort “Slowtools” genannt wird. Ein Wortspiel,über das ich bis ans Ende meiner Tage lachen werde. Peter Gabriel selbst traf ich nicht, da dieser in London war, doch das machte nichts. Es war ein nach Hause kommen, ein Neustart, und das dumpfe, schwere “Sch…Ffffupp”, mit der die dicken Schallschutztüren sich bei den letzten 2 cm von selbst schließen,  wird mir in Erinnerung bleiben: Alles ist, wie es sein soll.

 

Ich erzählte beim letzten Abendessen von meiner Angst, Autobahn zu fahren und zu fliegen und das ich deshalb den ganzen Weg alleine über die Landstrasse gefahren bin. Die  anwesenden Herren am Tisch  starrten mich ungläubig an – junge Männer, Anfang 20 ig, die ihr ganzes  Leben vor sich haben  und für Peter Gabriels back to front  Tour den Bühnenaufbau machen oder in seinem Studio an neuen Drumloops schrauben. ” She is  crazy ! It only takes  two hours by plane from Düsseldorf to  Bristol !”  “Yes, I know.” antwortete ich. ” It´s something I have to work on.”

 

Oli machte mir Mut, auf dem Rückweg die Autobahn zu nehmen, “It´s easy ! ” munterte er mich auf und es klang, als hätte er recht. Du musst nur geradeaus fahren. Stärkende Worte für  etwas , vor dem man Angst hat. Sie sind Gold wert. Auch wenn der, der sie jagt, nur ungefähr halb so alt ist, wie man selbst…

 

Am Donnerstag verließ ich gegen 10 Uhr 30  die Real World Studios und nahm die britische Autobahn Richtung London und dann Dover. Oli hatte Recht gehabt. Das war viel einfacher , als sich durch die Ortschaften zu schlängeln. Am Nachmittag erreichte ich pünktlich die Fähre, mit der ich vor einigen Tagen gekommen war.  Es war stürmische See, und ich fuhr, im Gepäck die Gesangs und Gitarrenaufnahmen von 11 Songs und zwei back to front Tassen, noch  die halbe Nacht durch, bis ich zu Hause war.

 

Ich hatte es tatsächlich geschafft.


Wie ich mit Van Morrison zu Mittag aß- (Teil 3 : SION HILL)

14. November 2014

Das Hostel in Bath, in dem ich von Sonntag bis Dienstag ein Einzelzimmer gebucht habe, war 1997 schon, sagen wir, recht einfach gehalten. Nun stelle ich fest, dass die Qualität seitdem noch einmal deutlich nachgelassen hat. Mein Hang zur Nostalgie ist aber stärker als der Drang, in einer einigermaßen vernünftigen Unterkunft zu wohnen, also bleibe ich bis zum Dienstag morgen, bis zur Abreise in die Real World Studios.

 

 

Bei meiner ersten Reise bin ich, 1997, eher zufällig, hier untergekommen (damals in einem 12 er Mehrbettschlafraum), also will ich auch jetzt hier sein. Das gibt mir, auf eine doch kindliche Weise, Sicherheit, schafft mir innerlich Verbindungspunkte zwischen dem was war und dem was sein wird.

 

Doch es passt nicht recht zusammen, wie ich hier mit meinen Sachen am billigen Kunststofftresen des Empfangs stehe. Die Zimmer sind hellhörig und es gibt Nachts keine Ruhe , die Badezimmer sind gelinde ausgedrückt renovierungsbedüftig und das Personal ist mürrisch, weil es vermutlich unterbezahlt ist. 1997 fand ich es schön, wie ich mit den anderen Gästen beim Essen oder an der kleinen Sitzgruppe am Eingang ins Gepräch gekommen bin, durchaus international und bewegend. Doch heute sind die drei öffentlichen Computerterminals verwaist und abgeschaltet, da jeder mit dem Smartphone in der Hand oder dem Notebook auf den Oberschenkeln für sich alleine da sitzt. Heute gibt es hier kostenfreies w- lan aber abends kein warmes Essen mehr.

 

Trotzdem: auf eine paradoxe Weise ist es die richtige Entscheidung, hier zu sein. Denn die Tatsache, dass ich mir selbst offensichtlich nicht mehr Wert bin, als diese Absteige, ( und das im Angesicht der Herausforderung, die vor mir liegt : 10 Songs in 2 Tagen), zeigt mir viel über mein Verständis von mir selbst. Und das ich unbedingt etwas daran ändern sollte. Ich rechtfertige meine Entscheidung, an diesem Ort zu bleiben, an dem ich mich ohne Badeschuhe nicht unter die Dusche traue, damit, dass ich etwas Geld sparen möchte und das es ohnehin anstrengender wäre, jetzt nochmal für eine Nacht umzuziehen als eben hier zu bleiben.- Aber der wahre Grund ist ein anderer : Ich habe in mir das Gefühl, dass ich es nicht wert bin, etwas besseres zu bekommen.
 

Früher, in den 4 oder 5 Sterne Hotels, die mir meine Major Plattenfirma zu diversen Terminen gebucht hatte, wenn ich für “contact myself” unterwegs war, fühlte ich mich immer fehl am Platz, obwohl ich es natürlich auch interessant fand, Klaus Maria Brandauer in der Lobby zu sehen – oder Dieter Wedel in der Sauna. Trotzdem war es irgendwie falsch , als ob mir jemand ein zu großes Puppenhaus zu Weihnachten geschenkt hätte. Der Luxus, der mich umgab, war leer, ohne Inhalt. Ich gehörte einfach nicht dorthin, hatte es mir nicht verdient.

 

Aber in dieses Refugio YMCA gehöre ich beim besten Willen auch nicht und das sehe ich jetzt ein. So wie Hape Kerkeling, der zu Beginn seines Buches “Ich bin dann mal weg” sehr schön und unglaublich witzig seine Erkenntnis beschreibt, dass die Reise zu sich selbst nicht zwingend damit gekoppelt ist, in heruntergekommenen Herbergen zu übernachten (er mietet sich auf seiner Pilgerreise nach Santiago de Compostella nach der 2. Nacht , die er in den üblichen , von den anderen Pilgern aus Gründen der inneren Katharsis genutzen Absteigen verbringt, in gute Hotels ein), merke ich: Ich habe mich verändert, die Zeit am Rande der Gesellschaft ist vorbei. Und trotzdem , im Unbewußten so präsent, dass ich erstaunt bin, ist dieser Teil meiner Identität immer noch da : Wie ein altes Kaugummi hängt mir diese Erinnerung am Absatz. Egal was ich mache, egal wo ich hingehe, ich werde es einfach nicht los.

 

Das Hostel hat keine eigenen Parkplätze und so beginne ich den Montagmorgen in Bath in aller Herrgottsfrühe damit, mein Auto inmitten eines Sturms von einem Ort zum anderen zu fahren, denn dort, wo ich gerade parke, muss ich bis 8 Uhr morgens den Wagen wegsetzen. Sonst kassiere ich ein Ticket und werde abgeschleppt.

Gerädert von der Nacht, da im Zimmer nebenan morgens um 3 Uhr jemand gute 15 Minuten lang lautstark mit den Worten “Hello? Hello!” gegen die Türe polterte, ziehe ich mir gegen 6 Uhr 30 Uhr meinen Parka über und laufe die ca 1, 5 Meilen durch die regennasse, vom Wind fast leergefegte Stadt. Sturm Katrina hat uns erwischt. Und ich bin am Tiefpunkt. Meinem persönlichen Prüfstein.

 

Selten habe ich mich so verloren und gestrandet gefühlt. Damals, in Hamburg vielleicht, ja, Ende der 1990 iger Jahre, als ich gerade begriff, was ich eigentlich überlebt hatte, aber nicht wußte, wie ich damit weiterleben sollte. Da stromerte ich halt – und ziellos durch die Strassen. Irgendwie weiterleben.

Jetzt habe ich habe aber ein Ziel. Ich habe noch eine Gitarre im Auto und am Nachmittag treffe ich Stuart Bruce im “The Pig and the Fiddle” um die Aufnahmesession zu besprechen und sich einfach mal zu sehen nach all den Jahren. Ich habe meine Schüchternheit überwunden und ihn vom Hostel aus angerufen.Ich habe es bis hierher geschafft. Aber die Müdigkeit und dieser Sturm, durch den ich jetzt laufe, bringen mich mich an den Rand von etwas, dass ich nicht recht fassen und auch nicht mehr aufhalten kann.

Ich steige an der Julian Road, wo ich meinen Wagen, nachdem ich ihn am Abend zuvor am anderen Ende der Stadt vom “The ham” abgeholt und abgestellt habe , ins Auto und fahre, geblendet von den Pendlern, die um diese Uhrzeit in die Stadt strömen, die Strasse entlang, die aus Bath heraus führt. Wind, Dunkelheit, Regen, verschwommene Lichter. Und kein Parkplatz weit und breit. Alle Parkbuchten haben ein Schilder, die besagen, dass sie nur Anwohnern reserviert sind.“Residentials only” .

 

Etwa 3 Meilen außerhalb der Stadt wende ich den Wagen und Reihe mich in die Schlange derjenigen ein, die hinein wollen, spüre, wie nackte Verzweiflung in mir aufsteigt. Ich werde es nicht schaffen. Letztlich werde ich es nicht schaffen. Ein seltsames Gemisch von Erinnerungen steigen in mir auf, wie die Blasen eines dickflüssigen Geysirs. Diese verwahrloste Wohnung, in der ich übernachtet habe , in dem Jahr als mein Vater starb. Schreie in der Nacht. Bei diesem Säufer auf dem Sofa. Ich bin eines Nachts abgehauen, ohne zu wissen, wohin ich gehen sollte. Meine Möbel auf einem Sperrmüllhaufen vor dem Haus. Wenn du bis 12 Uhr nicht weg bist, lege ich Feuer. Mein Vater, mit dieser Narbe am Kopf. Und dieser Kanüle im Rückrad. Fang jetzt bloß nicht an zu heulen. Dieser aalige Lehrer, dem ich vertraut habe und der mich, alleine in diesem Vierbettzimmer in der Jugendherberge, mit Worten zusammengefaltet hat, bis ich innerlich in Scherben lag. Nie werde ich das vergessen. Weil wir kein Geld hatten für diese Klassenfahrt. Und ich mir trotzdem von meinem Taschengeld ein paar Schuhe auf einem Wochenmarkt, den wir besucht hatten, gekauft habe. Ein ganz billiges Paar Schuhe, das aber mehr hermachte. Wegen coolen silbernen Kappen vorne auf der Spitze. Der Förderverein hatte aber die Kosten für die Klassenfahrt übernehmen müssen. Ihr Vater ist arbeitslos. Da darf man sich dann keine Schuhe kaufen, wenn der Lehrer daneben steht. Lumpenliese

 

Kurz vor der historischen Altstadt biege ich links ab und fahre den Berg hinauf, es geht wirklich steil nach oben. “Residencials only” wo ich hinschaue. Ich fahre weiter, biege wieder links ab, in eine kleine Strasse, noch steiler. Die Häuserreihen werden lichter, der Asphalt wird von Kopfsteinplaster abgelöst. Ganz oben auf dem Berg, direkt vor der Bath Academy of Arts, finde ich vor einem Haus einen Parkplatz. Der Sturm geht hier oben noch bedrohlicher als unten in der Stadt , wo ich geschützt von den Häusern war. Ich stelle den Motor ab, der Wagen schaukelt vom Sturm hin und her. Was mache ich hier eigentlich? Dieser Plattenvertrag, dessen Chance ich nicht richtig nutzen konnte, weil ich Hamburg von heute auf morgen verlassen und mich mit meinem Management zerstritten habe. Weil ich dachte, dass ich es nicht wert bin , über den TV Bildschirm in die Wohnzimmer der Leute zu kommen. Weil ich es nicht zusammenbekommen habe: Dieses Bild von mir auf den Hochglanzpressefotos und wie es in mir drin wirklich aussah. 3 Stunden in der Maske . Hat du gesehen, wie ihre Haut aussieht? Und wie ich im Nachhinein festgestellt habe, dass mein Management mit 98 % der Dinge, die ich nicht wahrhaben wollte, recht hatte. Niemand wartet auf dich in England. Die haben ihre eigenen Sänger dort. Jetzt bloss nicht die Fassung verlieren.

 

Fast eine Stunde bleibe ich im Wagen sitzen und warte ab, bis sich meine Angst und meine Wut gelegt haben. Über mir wiegen sich die dicken Äste der Bäume wie ausgestreckte Arme bedrohlich im Wind, als wollten sie mich daran erinnern, wie es sich anfühlt, aufzugeben. So ein beschissenes Blatt, das man mir gegeben hat. Und ein gleichzeitig so gutes. Meine Stimme. Meine Poesie. Die Konzerte. Mit Ian. All die wunderbaren Leute und Orte die ich kennengelernt habe, nur wegen meiner Musik. Ich habe viel Mist gemacht, das ist wahr. Aber auch viel Gutes. Ich bin hier. Ich will leben. Das eine nicht ohne das andere.

 

Als der Sturm sich langsam legt und es etwas heller wird, wische ich mir das Gesicht mit den Ärmeln meiner Jacke ab und öffne die Tür des Wagens. Zu Fuß mache ich mich auf den Weg zurück zum Hostel und der Sturm löst sich auf, so schnell er in der Nacht gekommen war. Die Gitarre lasse ich doch im Auto, meine Angst, man könnte über Nacht den Wagen aufbrechen, wird vom Vertrauen, dass schon alles gut laufen wird, abgelöst. Bath ist eine wirklich sehr schöne Stadt. Stolz und anmutig liegt sie da, die Häuser wie von einer großen Hand einzeln und für die Ewigkeit in kleinen Reihen in die geschwungene Landschaft gepflanzt. Ich schaue zurück, den Berg hinauf, von dem ich gerade komme. Der Himmel ist jetzt schon fast blau, es geht auf die 9 Uhr zu und die Straße, in der das Auto jetzt steht, heißt Sion Hill. Mein Prüfstein, Sion Hill, der Berg, den ich überwunden habe, mein Arbeitstitel für dieses Album.

 

Ich verbringe den Rest des Tages mit einem Bummel durch die Altstadt, um Andenken für meine Tochter und meinen Freund zu kaufen und treffe Stuart im “The pig and the fiddle” einen urigen Pub im Stadtkern von Bath. Innen drin stehen Holztische und alte Ledersofas, ein offenes Feuer brennt im Kamin. Auch hier ist alles genau wie 1997, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.

 

Der Nachmittag mit Stuart, der sich wegen eines technischen Problems im Studio etwas verspätet, ist sehr schön und wird mir in Erinnerung bleiben. Wir lachen, reden über Frankreich, und er versteht sofort, worum es mir bei der Aufnahmesession geht. Um das kleine, the tiny little thing, darum, dass der Sound ganz dicht an mir dran sein soll, aber auch gleichzeitig airy und voller Raum. Stuart versteht mich, obwohl mein Englisch sehr eingerostet ist und ich feststelle, dass mir in der Landessprache im Grunde das gesamte Fachvokabular fehlt, das man in einem Studio so braucht.

 

Wir verabreden uns für den nächsten Morgen um 10 Uhr 30 im Wooden Room der Real World Studios. Stuart und Oli, der Assistent, mit dem ich bisher nur einmal kurz telefoniert habe, werden eine Stunde vorher da sein und die Mikrofone für mich aufbauen.

 

Real World wartet auf mich.


Wie ich mit Van Morrison zu Mittag aß. ( Teil 2 : Dover-Hastings-Portsmouth-Bath )

8. November 2014

Die See war unruhig, wie mein Herz. Das Auffahren in das enge, fensterlose Unterdeck hatte mich angestrengt. Angespannt, ohne ein klar zu definierendes Gefühl – irgendwo zwischen Erschöpfung, fokussiert – sein, Wehmut und Vorfreude – bestellte ich mir im Bordbistro einen Kaffee im Pappbecher und beobachtete, wie der Regen, der nun zusammen mit der hereinbrechenden Dunkelheit aufkam, wie Schmelzwasser an den riesigen Fensterfronten hinunterlief.

 

Ich setzte mich ganz vorne an den Bug des Schiffes, nur vom dicken Glas von Wind und Wellen getrennt und ließ mich treiben, was sollte ich auch anderes tun. Ich hoffte nur, dass ich die Handbremse richtig angezogen hatte, denn das Schiff bewegte sich spürbar auf und ab.

 

Als zwei Stunden später die englische Küste in Sicht kam und eine Frau neben mir sehr bewegt “Das ich DAS noch mal sehen darf ! ” ausrief, kamen mir auch  die Tränen. Die Kreidefelsen von Dover, die sich leicht geschwungen in den Himmel erhoben, begrüßten uns. So viele Jahre waren vergangen, so vieles war passiert. Die Tränen kullerten an meiner rechten Wange hinunter und ich legte meinen Kopf an die Scheibe, damit es nicht so viele Leute sahen. Draußen am Fenster der Regen, drinnen meine Tränen, ich war also gut aufgehoben.

 

Die Küste kam schnell näher und kurz drauf wurden die Passagiere über Lautsprecher in mehreren Sprachen gebeten, zum Parkdeck zu gehen. Wir legten an. Im Wagen war ich wieder auf mich allein gestellt. Ich wartete eine Weile, nur begleitet vom dumpfen Brummen der Dieselmotoren, die synchron zu meiner inneren Unruhe irgendwo tief im Schiffsbauch rumorten. Dann startete vor mir ein Automotor nach dem anderen, Rücklichter leuchteten auf, und wir setzten uns nach und nach in Bewegung. Durch die engen Metallschluchten des Schiffes, hinauf und wieder hinab ins Freie, in den Hafen von Dover. Ich hatte, nach fast 14 jahren, wieder englischen Boden unter mir.

 

Ich schaffte es unfallfrei durch die ersten stark von PKW und LKW befahrenen Kreisverkehre, und wenn mir vorher jemand gesagt hätte, welche Herausforderung es ist, bei tief stehender blendender Sonne in den englischen Linksverkehr zu fahren, hätte ich es mir vermutlich anders überlegt. Aber wie bei einigen anderen Dingen, (Geburten zum Beispiel) ist man dann eben auf dem Weg und muss schauen, wie man bis zum Ziel durchkommt. Es gibt einfach kein Zurück. Ich fuhr, mehr schlecht als recht und von einigem Fluchen der ortsansässigen Fahrer eskortiert, einfach weiter, bis sich der nicht enden wollende Strom von Fahrzeugen, die aus dem Bauch der Fähre in den Abend rollten, allmählich in alle Richtungen aufgelöst hatte.

 

Es war steil hier an der Küste und ich hangelte mich von Ortschaft zu Ortschaft, nur mit meiner kleinen , mittlerweile zerknitterten Googlemaps Landkarte auf dem Beifahrersitz. Wie naiv war ich, ohne Navigationssystem loszufahren. Immerhin, dieser wunderbare Anblick der englischen See und seiner Ortschaften im Abendrot, jedesmal wenn ich den Gipfel eines Hügels passiert hatte und bergab ins nächste Tal rollte, wäre mir verwehrt geblieben , hätte ich den direkten Weg über die Autobahn genommen. Keinesfalls würde ich jetzt auf die Autobahn auffahren. Ich blieb auf der Landstrasse, ohne genau zu wissen, wieviele Km die angegebenen 50 Meilen Geschwindigkeit, die ich fahren durfte, genau waren (ich schätze es seien 65, 70 Km die Stunde) und fuhr, solange niemand hinter mir drängelte, langsamer als erlaubt. Und so brach die Nacht herein.

 

Irgendwo hinter dem Schild “Welcome to East Sussex”,inmitten menschenleerer Felder und Wiesen, tauchte in absoluter Dunkelheit etwas auf, das ich erst aus nächster Nähe erkannte: so nahe, dass es schon fast auf meiner Motorhaube war. Ich kniff meine Augen gegen die Müdigkeit und die Nachtblindheit zusammen, irgendetwas bewgte sich, mir entgegen kommend, auf der Gegenfahrbahn. Aber was? Eine unbeleuchtete Kutsche mit einem Pferd, dessen Vorderläufe nervös tendelten und ausbrechen wollten. Nur mühsam konnte seine Kutscherin das Tier im Zaum halten, denn ich blendete es mit meinen Scheinwerfern und es wollte in aufkeimender Panik durchgehen. Ich mutmaßte, dass die beiden von der rasch eintretenden Dunkelheit überrascht worden waren und eben die letzten paar Meilen nach Hause wollten. Für ein, zwei Sekunden sah ich im Vorbeifahren die angespannten Arme und Gesichtszüge der Frau, die , vorn über gebeugt das Pferd hielt, und “hoooooo” ausrief, so laut es ging, ohne das Tier noch mehr zu erschrecken. “Ne Kutsche, mitten in der Nacht , Mann, Mann, Mann ! Ja seid ihr denn verrückt geworden ?! ” schrie ich in das Dunkel meines Mietwagens – Welcome to east Sussex !

 

Gegen 21 Uhr abends erreichte ich Hastings, etwa 100 Meilen westlich von Dover an der südenglischen Küste, wo ich über das Internet ein Hotel am Strand gebucht hatte. “The Lindum ” war der Name des Hotels. Und wieder wusste ich nicht, wieviele Kilometer 100 Meilen eigentlich waren. Auf jeden Fall, mehr, als ich gedacht hatte. Seit 7 Uhr war ich unterwegs, und mittlerweile war ich geistig und körperlich erschöpft. Das kleine Städtchen war voller Autos und Menschen. Wie sollte ich jemals mein Hotel finden ?! Um keinen Unfall zu verursachen, hielt ich bei der nächsten Gelegenheit an. So konnte ich das Auslandssorglospaket meines Mobilfunkanbieters zu buchen, um mit meinem Smartphone wenigstens Google Maps ab – und zu Hause anrufen zu können. Meine Routenplanung hatte seit der Ankunft in Dover, oder genauer gesagt, seit dem belgischen Gent, komplett versagt. Und ich konnte nicht mehr. Panik stieg in mir auf. Ich kannte das : In der Dunkelheit endlos umherfahren und das Hotel suchen, von einem Ende der Innenstadt zum Anderen. Ich parkte an einer kleinen aber belebten Tankstelle am Ortseingang direkt vor der Luftstation für Autoreifen, weswegen mich eine Frau in einem kleinen roten Auto ansprach, um mich zu verscheuchen. Die Frau wurde sofort sehr freundlich , als Sie die Erschöpfung in meinem Gesicht sah. Wie sollte ich jemals diese Straße finden

 

“I know where the Lindum is, it´s not far from here.” sagte die kleine blonde Frau, sichtlich besorgt um meine Gesundheit und wies mir an, ihr einfach zu folgen. Mit den Worten “She´s lost ! ” und einer wedelnden Handbewegung, die den anderen sagen sollte, sie sollten uns Platz machen, stieg sie in ihren kleinen, alten, etwas ausgeblichenen roten Wagen und fuhr so zielstrebig voran, dass ich Mühe hatte, zu folgen. Wir erreichten die Küstenpromenade und meine Reiseleiterin fand das “The Lindum ” auf Anhieb.

 

Sie umkreiste mit mir im Schlepptau wieder und wieder den Häuserblock des um diese Zeit stark frequentierten Hafenviertels, bis ich direkt um die Ecke des Hotels, passender Weise direkt vor einem Gitarrenladen, einen Parkplatz gefunden hatte. Es war so schwer, in der Dunkelheit links zu fahren und dabei gleichzeitig nach Autos, Fußgängern und was weis ich noch Ausschau zu halten ! Als ich den Wagen endlich akzeptabel abgestellt hatte, stieg ich aus bedankte ich mich herzlich. Was ich nur ohne die Frau im roten Wagen gemacht hätte ?! Sie hatte mir mindestens 2 Stunden verzweifeltes Herumgesuche mit anschließendem Nervenzusammenbruch erspart. Bis morgens um 8 Uhr musste ich den Wagen wegsetzen, um kein Falschparken – Ticket zu kassieren (etwas , das mir auf der weiteren Reise noch öfter begegnen sollte), informierte mich die Frau noch und wünschte mir viel Glück.

Ich checkte im Hotel ein, schleppte meine Sachen, auch die 3 Gitarren und das andere Equipment die drei Stockwerke die enge, mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf und übte noch am offenen Fenster, mit dem rhythmischen Bewegungen der Wellen, die direkt auf der anderen Straßenseite an den Strand rauschten, “Mercy Street”. Dann fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf bis zum nächsten Morgen.

 

Nachdem mich Hastings mit einem Bilderbuchsonnenaufgang begrüsst hatte, beschloss ich gegen 7 Uhr, weiter über Land zu fahren und zwar so früh, das mir bis kurz vor dem Ziel möglichst niemand mehr auf der Strasse begegnete. Nur ein paar Leute, die offensichtlich die Nacht in irgendeiner Kneipe durchgezecht hatten, die Straßenreinigung und ich waren unterwegs. Ansonsten war der am Abend zuvor so belebte Küstenabschnitt menschenleer. Ich hatte nichts gefrühstückt, den Frühstück war gab es im The Lindum Sonntags erst ab 8 Uhr und ich hatte am Abend zuvor auch nichts gegessen, denn ich hatte versäumt, mein Geld umzutauschen und wollte nachts im Hafenviertel nicht alleine am Geldautomaten herumstehen. Nicht nach dem Überfall der letzten Reise. Ein Päärchen mit Wohnmobil aus Köln, dass ich beim Ausladen meiner Sachen am Auto vor dem Gitarrenladen getroffen und gefragt hatte, ob es etwas Geld wechseln könne, dachte wohl, ich wollte schnorren und machte fast wortlos die Tür zum Wohnmobil zu. Nein, man hätte selbst nur noch 5 Pfund in Scheinen. Sehr nett.

 

Also knabberte ich , bargeldlos, die letzen Kekse und trank das Wasser, das ich dabei hatte. Irgendwo würde ich anhalten und meine Reserven auffüllen können. So landete ich bei strahlendem Sonnenschein und 28 Grad am späten Vormittag gänzlich ungeplant im wunderbaren Portsmouth, wo ich ein paar englische Pfund aus einem Geldautomaten zog, eine warme Mahlzeit zu mir nahm und einige Zeit mit meiner Kamera durch das Städtchen streifte. – Noch einmal an diesem Sonntag guidierte mich ein Ortskundiger ein stückweit zur nächsten Landstrasse, weil ich mich verfahren hatte, dann passierte ich Salisbury und die ersten Schilder nach Bath tauchten am Wegrand auf.

 

Stoppoks Version meines Songs “Geh aufrecht” begann , als ich den letzen sehr hohen Bergrücken passiert hatte und Bath in Sicht kam. Wieder kamen mir die Tränen. Die lang geschwungenen Häuserreihen aus Römerzeiten schmiegten sich eng an die Landschaft und ich drehte die Musik lauter. So viel hatte sich in meinem Leben geändert, seit dem ich zum letzten Mal hier war, aber die Stadt sah genauso aus wie früher. Nur dieses mal hatte ich einen Autoführerschein und das Steuer in der Hand.

 

Doch schon wieder wurde meine Fahrt unvorhergesehen unterbrochen. Mit dem Auto durfte ich gar nicht in die historische Altstadt, in der meine Unterkunft lag. Daran hatte ich mal wieder nicht gedacht. Bei der nächsten Gelegenheit fuhr ich in eine kleine Stichstrasse ab und parkte vor einem Pub. Ein paar Leute standen davor, die ich fragte, wie ich wohl mit dem Auto zum Ortskern kommen könnte, wegen all dem Gepäck. Einer der Männer fragte den Besitzer des Pubs, ob ich das Auto hier für einen Tag stehen lassen könnte. Der Mann meinte, ich sollte am besten zu Fuss gehen , es sei nicht weit und bot sich an, mitzukommen, damit ich den Weg finde. Er fragte, wo ich herkäme. “Germany”. “Oh !” Er erzählte mir, dass er einige Jahre in “Ibbenbüren” gearbeitet hatte, wobei er das “ü” und das “r” auf diese typische britische Weise betonte und weich in die Länge zog. Er hätte ein deutsche Freundin gehabt, und Deutschland hätte ihm gefallen.

 

Der Mann hatte seine besten Jahre hinter sich , war leicht angetrunken und schien seine Sonntagnachmittage oder überhaupt seine Tage mit Bier trinken zu verbringen, doch er brachte mich höflich und zuverlässig bis an die Schwelle der Pension, in der ich mich für 2 Nächte eingemietet hatte. Das Auto solle ich im Laufe des Tages abholen. Daß das Parken in Bath ein echte Herausforderung ist, dämmerte mir langsam. Er nannte mir Eckpunkte, die ich mir merken sollte, um den Wagen später wiederzufinden. Die 2. historische Brücke nach der großen Kathedrale, am Park rechts ab. Der Pub heisst “the ham”. Ob ich wüßte, welches Tier das sei. Ich bejahte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es ein Steinbock oder ein Widder war, oder keins von beidem. Dann frage mich der Mann noch, was ich hier eigentlich machte?

“Ich bin Sängerin und nehme ein Album auf. In den Real World Studios. Von Peter Gabriel. ” “Oh … yeah ! “, davon habe er gehört, antwortete er und es klang, als sei dieses Studio für ihn genauso weit weg, wie es für mich in Deutschland all die Jahre gewesen war, nur dass er in Bath nur 6 Meilen von Box Mill Lane entfernt wohnte.

 

Er wünschte mir alles Gute, ich bedankte mich für seine Hilfe, dann verschwand er in der Menge der Touristen, die gekommen waren, um sich die Altstadt anzuschauen.

 

Ich war in Bath angekommen.


Wie ich mit Van Morrison zu Mittag aß (Teil 1)

15. Oktober 2014

Ich habe diese Reise so gut es geht festgehalten, in Videobildern, Fotos und natürlich in Form der 10 Songs, die ich in den Real World Studios am 7. und 8. Oktober aufgenommen habe. In einigen Wochen werden die Mixe fertig sein, neue Pressebilder gemacht und einige Videos online. Doch scheint mir in diesen Tagen kurz nach meiner Rückkehr, in denen die Erinnerungen langsam tiefer sacken mit jeder Nacht, in der ich schlafe und mit jedem Tag an dem der oft beschriebene Alltag wieder einkehrt, nur das geschriebene Wort in der Lage zu sein, meine Eindrücke zu beschreiben. Das, was ich mitnehme bis ans Ende meiner Tage.

 

Nichts wird mehr nach dieser Reise so sein wie vorher. Keine Therapiestunde, keine herumsuchen nach dem Lebenssinn , oder sollte ich besser sagen, dem gewissen Esprit, vor meiner eigenen Haustür wird mich mir jemals selbst so nahe  bringen wie diese 5 Tage mit einem schwarzen nagelneuen Ford aus der Europcar Station  Erkelenz.

 

Dazu muss ich sagen, dass mich meine diversen Ängste wieder stark eingeschränkt hatten hier vor Ort: Ich hatte es jahrelang, aus Angst, es nicht zu schaffen, vermieden, Autobahn zu fahren, ins Parkhaus zu fahren, überhaupt woandershin zu fahren als in die Innenstadt von Mönchengladbach oder Erkelenz, zum nächsten Supermarkt oder mal ins Kino. Wollte ich weiter weg, was bei meinem Beruf durchaus öfter der Fall ist und auch nötig, um am Ball zu bleiben, ließ ich das Auto stehen und nahm den Zug. Nicht so dieses mal, denn mein Equipment für die Aufnahmen konnte ich  nur im Auto transportieren. Da musste ich jetzt durch.


Es gesellten sich viele Ängste dazu von dem Tag an, an dem ich wusste, das ich fahren, wirklich fahren würde: Vor dem Linksverkehr, vor dem Live spielen, vor dem spielen ohne Metronom, um den eigenen Rhythmus zu finden. Vor meiner eigenen Verspanntheit die zu schlechten Musikergebnissen führen würde, denn in bestimmten Stresssituation kann ich mein Können, dass sich in Bezug auf die Gitarre, auf eine recht einfach strukturierte Begleitung beschränkt, manchmal nicht abrufen. Doch dieses mal kneife ich nicht. Ich fahre los. Bis nach England. Bis zu den Real World Studios. Man erwartet mich. Stuart Bruce, den leitenden Engineer, den ich das letzte mal am 10. September 2001 gesehen habe, treffe ich am Montag. Dienstag und Mittwoch werden die Aufnahmen sein.

 

Samstag morgen, 9 Uhr. Ich habe den Schlüssel vom kohleschwarzen, glänzenden Mietwagen in der Hand, mein Freund bzw. zukünftiger Ehemann hat mich zu Europcar Erkelenz gefahren, wir laden meine Sachen ins Auto. Reisetasche, Koffer, Gitarren, eine Tasche mit Proviant. Das Auto ist super. Meinen alten türkisen Corsa habe ich nach einigem Hin und Her von ein paar Tagen  für 120 Euro verschrottet. Mein Freund hat es mir aus Sicherheitsgründen ausgeredet, mit dieser an allen Ecken quitschenden und schaukelnden Gurke  loszufahren. Gottseidank, wie sich im Laufe der Reise herausstellt, denn die Handbremse, die bei meinem Corsa schon lange nicht mehr funktionierte, war im Zuge der kommenden 1600 km quasi überlebenswichtig. Ich wusste gar nicht mehr, das Bath, die Stadt in Südmittelengland, zu der ich Reisen will, an so steilen Hügeln liegt.

 

Und so ist diese Reise auch ein Abschied, von einem Bild, das ich von mir selbst als Künstlerin und dem, was mir als solcher zusteht, habe. Während mein Freund mir immer gut zuredet, wie wichtig gutes Arbeitsmaterial ist, in diesem Fall ein gutes Auto, denke ich immer noch, es wäre Rock´n Roll und irgendwie “standesgemäß” mit einer 20 Jahre alten Mühle loszufahren , weil es das sei, was zu mir passt, mir entspräche.

 

Wir verabschieden uns, “Du schaffst das.” sagt mein Freund. Ich sage ” Ich melde mich, wenn ich an der Fähre bin”. Immerhin, die Sonne scheint.

 

Als ich den Schlüssel ins Zündschloss stecke und das futuristische Cockpit betrachte, merke ich, dass ich das viel besser finde als den düster beleuchteten Corsa Baujahr 1996, der zudem viel mehr Benzin schluckt. Der Wagen sitzt wie angegossen. Stoppoks neue Cd “Popschutz” habe ich dabei, der Cd Player saugt den Silberling selbständig ein, als hätte er nur darauf gewartet, endlich mal was zu tun zu bekommen . – ein Song von mir “Geh aufrecht” , performed von Stoppok und Band ist drauf und ich hatte bisher keine Zeit, die Cd anzuhören.

 

Die ersten Takte, der Wagen rollt an , ich steuere vom Parkplatz in den noch spärlichen Samstagmorgen Verkehr und Stoppok wird mich auf der gesamten Reise, nur unterbrochen vom belgischen und englischen Verkehrsfunk, begleiten. Über weite Teile schweigen die Lautsprecher aber auch ganz, ich genieße einfach die Ruhe, hänge meinen Gedanken nach und/oder bin so mit dem für mich unfassbaren englischen Verkehr beschäftigt, dass ich das Radio ausschalten muss, um keinen Unfall zu bauen. Aber dazu später mehr.

 

Ich habe kein Navi im Auto, was sich später als Fehler herausstellt, aber zu dem Zeitpunkt gehe ich ohnehin noch davon aus, dass ich in England keinesfalls die Autobahn benutzen würde, wegen des Linksverkehrs, und so ich  habe mir die Route ganz altmodisch ausgedruckt in Google Maps, ab Dover über Landstrasse.

 

Ich wohne Nahe der holländischen Grenze, bin bald in Belgien, dann an Brüssel vorbei wo ich ” Siehste, Brüssel, ´s geht doch !!! ” mit hochgereckter Faust ins Auto rufe, während Stoppok  “Was du mir gestern erzählt hast ” singt. Brüssel, auch so ein schwarzer Fleck in meiner Erinnerung, den ich nun überwinde.

 

2007 war ich bei meinem bis dahin letzten Versuch, nach England zu kommen, im Eurolines Bus in Brüssel Central , der letzten Station vor dem Eurotunnel,  bis aufs Hemd ausgeraubt worden und stand Mitten in der Nacht ohne Papiere und ohne Geld in dieser wirklich merkwürdigen Stadt. Die Diebe telefonierten auf meinem gestohlenen Vertragshandy in die ganze Welt, bis der Akku am nächsten Morgen leer war. Für 950 Euro, wie ich anhand der E- Plus Rechnung die der Postbote einige Wochen später durch unseren Briefkastenschlitz steckte, feststellte. Ich erinnere mich noch, wie ich den Brief mit dem markanten grünen Logo auf den Boden segeln sah und gleichzeitig  “Das wird teuer.” dachte, ohne den Umschlag  überhaupt in der Hand gehabt zu haben. 

 

Einen Großteil der 950 Euro musste ich zahlen, denn in dieser Nacht stand ich durch den Überfall so unter Schock, das ich erst nach 2 Stunden in der Lage war, die nötigen Telefonate zu führen, um Kreditkarte und Handy zu sperren. Nie wieder war ich seitdem irgendwo hin gefahren. Zu tief der Schock darüber, die Nacht sitzend auf einer ausgelutschten Couch in einer fragwürdigen Hostel Lobby zu verbringen, weil das Hotel mich nicht hinein ließ, darüber, dass am nächsten Tag alle Bahnhöfe und auch die deutsche Botschaft wegen eines Streiks des öffentlichen Dienstes geschlossen waren und ich sowas von feststeckte, dass ich dachte, ich bliebe mein Leben lang gestrandet in dieser Stadt voller Pralinen und mit Decken zugehangener Hochhausfenster.

Aus einer Baustelle tönte Peter Gabriels “Solisbury Hill” aus einem plärrenden Ghettoblaster und ich ging am späten Nachmittag, nachdem ich stundenlang ohne Frühstück durch die Stadt geirrt war,  in die Station des Busunternehmens und drohte mit körperlichem und seelischen Zusammenbruch, direkt hier vor  den anderen Fahrgästen , wenn man mich nicht mit dem nächsten Bus nach Hause fahren ließe. Ich war Abends in Düsseldorf und aus dieser Erfahrung entstand ” No ticket Back”, einer meiner Lieblingssongs vom Album “Dakota”. “Like Paper in the wind , we´re stumbling on the streets , in waiting rooms and hotel bars and stations”.

 

Also – jetzt , 2014, fahre ich an Brüssel vorbei, dann geht es durch  Gent und ich denke  ” Wow das klappt ja super, nur gute 2 Stunden und ich bin nur noch 70 km von der Fähre in  Dunkerque entfernt.”  als quasi zeitgleich das Radio anspringt. Ich zucke etwas zusammen – mein alter Corsa hatte überhaupt kein Radio – der Sprecher sagt etwas wie  ” Viele Räderen an diese Samstach Middach . ” und das man lieber nicht die A 40 Richtung Oostende nehmen sollte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließe, weil die Strasse dicht sei. Auf der bin ich aber gerade und da sehe ich auch schon das Stauende.

“Klar” denke ich, die haben hier ja auch Herbstferien und Wochenende und das Wetter ist schön, wollen alle ans Meer “. Ich entschließe mich, nach ca.  20 Minuten im Stau , ab und über Land zu fahren, was ohne Navi ein nerviges und sehr langwieriges Unterfangen wird. Da ist sie schon, die erste Prüfung, der noch einige Folgen werden. Ruhig bleiben, die Nerven behalten. “Wenn du die Fähre verpasst, nimmst du die nächste.” Höre ich meinen Freund sagen.

 

Gute Worte, wie überaus wichtig sie sind. Worte die Hoffnung machen, mit Liebe und Zuversicht gefüllt, wieviel sie bedeuten ! Mehr als alles andere.  Oft in meinem Leben  habe ich mich an solchen Worten festgehalten. Wenn es brenzlig wurde, ich nicht weiter wusste, es um die Wurst ging. Worte von Menschen, von denen ich wusste, dass sie es gut mit mir meinen. Dass ich mich auf sie verlassen kann. “Wenn du die Fähre nicht schaffst, nimmst du die nächste.” Ja, ok. Wenn es mir zu spät wird, nehme ich ein Hotel. Ich atme ein, ich atme aus. Ich werde es schaffen.

 

Um 15 Uhr 15, viel später als gedacht, aber genau pünktlich zum einchecken,  komme ich an der Fähre in Dunkerque an, glücklicherweise sind die letzten Km  gut ausgeschildert, mit international verständlichen Bildchen (kleiner PKW im Schiffsbauch auf drei blauen Wellen, hier entlang !!! ). Da bin ich dann doch erleichtert nach   6 Stunden für 320 km, na herzlichen Dank !

 

Ich steige aus und rieche die Seeluft, die Möven kreischen. “Ich glaub es nicht, du meine Güte, ich glaub es nicht “, rufe ich angesichts der riesigen, erwartungsvoll dampfenden DfDs Seaways Fähre in meinen dicken Wollschal, den ich mir zum Schutz meiner Stimme bis fast über die Ohren um den Kopf gewickelt habe. Die Leute neben mir, eine englische Familie, schaut etwas befremdlich, sie fahren zum wiederholten male, essen ein paar Butterkekse, alles ganz normal – woher sollen sie auch wissen, was gerade in mir vorgeht.

 

Keine 45 Minuten später legen wir ab.


Dünnkirchen - Dover, Samstag, 16 Uhr

 1. Oktober 2014

Ich versuche, mich damit abzufinden. Dass ich nicht unversehrt bin. Äußerlich sieht man es kaum, vor allem wenn ich mich fertig gemacht habe für die Bühne.

Es sind innere Wunden, die mich geprägt haben und die, je nach Lebenslage, immer wieder aufbrechen weil sie so tief sind. Ich versuche, trotzdem ein gutes Leben zu führen, die glücklichen Momente zu spüren, die nicht so guten als Chance zum Wachsen anzunehmen. Und es geht mir heute wirklich gut.

 

 

Ich lebe geregelt, sicher, ohne Alkohol, ohne Nikotin, ohne unnatürlichen Erfolgsdruck , ich muss keine Medikamente nehmen. Habe einen Partner, der mir wie ein Fels in der Brandung zur Seite steht. Meine wunderbare Tochter.Habe zwei Katzen die einfach nur lieb sind. Habe immer Ideen.Ich lache oft, habe Spass an Wortspielen und seit neuestem eine Spiegelreflexkamera, die genau die Bilder macht, die ich immer machen wollte.


Und trotzdem: dieses Vakuum, wenn das Empfinden sich auf Grund äußerer Lebensumstände abstellt, dieser Mechanismus einsetzt, den ich als Kind gelernt habe, um zu überleben: wer nichts empfindet, stirbt nicht am Schmerz, der Mechanismus ist immer noch da und ich kann nichts dagegen machen. Passieren bestimmte Dinge, die mir Angst machen, stehe ich da wie ein 8 jähriges Kind. Ich bin wütend darüber, denn ich habe mir das nicht ausgesucht, dass ich nun, als 44 Jährige Frau, immer noch darunter leiden muss und Phasen erlebe, in denen ich einfach nichts fühle.


Es war ein langer Weg. Der sprichwörtliche lange steinige Weg und die Musik hat mich gerettet. Früher, als ich 20 war, hielt mich die Musik von Peter Gabriel am Leben. Ich weiß, dass sich das theatralisch anhört, aber genauso dramatisch war es. Sie gab mir Hoffnung in meinem hermetisch abgeschossenen seelischen Gefängnis, in das ich durch einen unfassbaren Akt der Demütigung und des Mißbrauchs, den ich als kleines Mädchen über viele Jahre erlebt hatte, geraten war.

 

Es gab kein Entrinnen aus diesem Vakum, in das sich meine Seele schützend zurückgezogen hatte, ich spürte zwar, dass ich in einer wirklichen Schieflage war, aber dagegen tun konnte ich nichts. Denn jegliche Erinnerungen an das Erlebte war verschluckt. Ich hatte alles vergessen, um zu überleben. Abgespalten von mir selbst und allem, was Leben ausmacht, unfähig, irgendetwas aktiv und positiv zu gestalten, hing mein Leben lange Zeit am seidenen Faden, kamen Verletzungen hinzu. Sollche, die andere mir zufügten und sollche, die ich mir selbst zufügte. Das waren die allerschlimmsten. Aber ich wußte: wenn es jemanden gab, der so sang wie Peter Gabriel, musste es für mich einen Weg geben. Und genauso war es auch.


Als ich 26 jahre alt war, begann die Amnesie zu bröckeln und die Erinnerung, an das, was ich erlebt und überlebt hatte, blitzte immer öfter in mir auf. Ich konnte es nicht einordnen, was ans Tageslicht kam, war so beängtigend, allmächtig und unglaublich, dass ich Angst hatte, es nicht zu überleben. Helfen konnte mir niemand. Mir drohte der komplette Untergang, das Scheitern, der Tod.


Ich hörte Peter Gabriel und dachte an die Musik, die ich gerade selbst begonnen hatte, zu machen. An die Bilder, die ich noch nicht gemalt hatte. An die Songs, die ich schreiben wollte. Ich wollte leben. Also sagte ich zu mir selbst: ” O.K. ich habe 2 Möglichkeiten, entweder ich bleibe jetzt hier und sterbe oder ich bewege mich und finde einen Weg. Meinen Weg.”


Ich nahm für ein paar Wochen im Sommer 1997 einen ziemlich deprimierenden Job als Kellnerin in einer Studentenkneipe an und sparte ein paar hundert Mark. Mit dem Zug fuhr ich im September das erste mal nach Bath, 2 Stunden westlich von London, um die Real World Studios von Peter Gabriel zu besuchen. Ich kannte dort niemanden und hatte auch keinen Termin. Ich fuhr einfach los und werde diese Reise niemals vergessen, an deren Ende mich Peter Gabriel auf dem Parkplatz kurz grüsste. Ich durfte nicht hinein, doch ich war auch  nicht die einzige, die sich auf diese Reise gemaht hatte: Im Hostel, in dem ich Unterkunft fand, lernte ich eine jungen Mann kennen, der auch Musik machte und mir stolz ein Foto zeigte, das ihn und Peter Gabriel auf genau dem gleichen Parkplatz zeigte. Ich war nicht alleine.


Es folgten bewegte und zum Teil sehr harte Jahre, in denen nach und nach alles ans Licht kam und in denen sich nach und nach alles zum Guten regelte, obwohl ich mehr als einmal Angst hatte, es nicht zu schaffen. Ich machte meine Musik, erhielt Plattenvertäge, veröffentliche Cds, gab Konzerte und wurde mit jedem Tag mehr ich selbst. Ich lernte, damit zu leben.


Trotzdem gibt es diese Tage, manchmal Wochen, an denen alles wieder da ist. An denen es mich einholt. Die vertane Zeit, die verlorenen Jahre, die verpassten Chancen. Die Scham darüber, was mit angetan wurde.
Trotzdem bin ich froh. Einfach darüber, dass ich überlebt habe und mir diese Möglichkeit gegeben ist, mich über meine Musik auszudrücken. Dass es Menschen gibt, denen meine Musik etwas bedeutet. Da, wo keine Worte mehr hinkommen, kann ich mit meiner Gitarre hin. Das, was unerklärlich bleibt – Ich kann es ausdrücken, indem ich singe und Songs schreibe. Was für eine unbezahlbare Gabe.


Nun reise ich, fast 20 Jahre nach meiner ersten Begegnung, wieder nach Bath. Dieses mal nicht als Besucher, sondern als Musikerin. Ich darf reingehen. Die Mikros werden für mich aufgebaut. Ich habe mich 2 Tage in die Real World Studios eingemietet und werde 10 Songs, die mir sehr am Herzen liegen, live einspielen. Es ist die Herausforderung meines Lebens. Mein absoluter Lebenstraum. Nie habe ich um etwas mehr gekämpft als darum. Denn die Angst springt mir aus allen Ecken entgegen.


Ich habe Angst. Reale, ungeheure Angst. Vor er langen Autofahrt, vor der Fähre, davor, auf dem Weg vielleicht festzustellen, dass ich es nicht schaffe. Das ich steckenbleibe, verschwinde, aufgeben muss. Neben mir stehe und nichts mehr empfinde. Dass dieser Moment ungespürt an mir vorbeizieht. Es wäre nicht das erste Mal.


Es ist eine Grenzerfahrung, meinen Lebenstraum in die Tat umzusetzen. Doch ich bin nicht alleine. Die Menschen, die meine Musik mögen, haben diese Aufnahmen mit Crowdfunding möglich gemacht und ich bin ihnen sehr dankbar. Vor allem,weil ich dadurch auch weiß, dass jemand da draußen diese Songs gerne hören möchte. Das es nicht nur um mich selbst geht.
 
Heute gehe ich noch zum Friseur, auch etwas, zu dem ich mich immer noch überwinden muss, weil mir dann jemand auf Tuchfühlung nahe kommt, dann packe ich. Zwei Gitarren, (eine akustische und eine elektrische), eine Tasche voller Klein- Equpiment, Saiten, Notenständer, alles was ich brauche, eine Tasche mit persönlichen Sachen. Ein Kleid mit Blumen habe ich sogar gekauft. Meine Kamera.

 

Doch das wichtigste trage ich in mir: Meine Stimme, mein Empfinden, meinen Mut, meine Hoffnung, meine Lebensfreude. Trotz allem.

 

Ich mache mich auf den Weg, um zu zeigen, dass es immer einen Weg gibt, dass es sich lohnt, für seinen Traum einzustehen, egal, wie absurd und unreal der für andere klingt. Dass es sich lohnt , um sein Leben zu kämpfen. Die Blockaden zu lösen. Die Leinen zu lösen. Die Dinge beim Namen zu nennen, sich seinen Ängsten zu stellen.

 

Ich habe Angst – aber ich werde losfahren. Ich habe das Ticket für die Fähre.

 

Dünnkirchen-Dover, Samstag, 16 Uhr


Ich lache, ich weine.

5. September 2013

Dienstag, 11 uhr, Kieferchirurg.

Ich, weiblich, 43 jahre alt, mit tief sitzender, attestierter Zahnarztphobie muss nach einem mißglückten Versuch, den 4 er oben links zu konservieren, zum Spezialisten.

 

Seit 6 Wochen steckt dieses Relikt aus meiner Vergangenheit in mir drin, für mich “Anthroposophin” das Symbol aller mißglückten Versuche, alles ungelebten Lebens, aller Enttäuschungen. Aller fehlender (Mutter - ) Liebe, ja auch. Ein harter Knochen. Jetzt muss er raus. Nur die Wurzeln sind noch drin.

 

Ich zögere nicht an diesem Morgen, kneife nicht, obwohl mir die Angst bis in den Scheitel reicht. Werden sie mich aufschneiden? Werde ich die Beherrschung verlieren?

 

Ein Jahr lang habe ich intensiv  an meiner Angst gearbeitet, jetzt sehe ich die Türe offen vor mir stehen. Ich will frei sein. Ích will leben. So ein einfach ist das.

 

Ich steige in meinen  etwas klapprigen  türkisen Corsa und fahre in die nächste größere Stadt. Hier im Ort traut sich keiner an den Zahn ran, so ungünstig ist er bis in die Tiefe abgebrochen.

 

Im Behandlungzimmer hat man viel Verständnis, man kennt mich schon – und meine Phobie. Ich sitze im Stuhl, mir kommen wieder die Tränen, ich bin einfach fertig. Dann ein erleichtertes Lachen, die Ärztin kommt herein und ist so unglaublich kompetent und gleichzeitig menschlich. Ein Glücksgriff.

 

“Ach, Frau Werker”, strahlt sie. Und ich lache auch : ” Oh, wie schön, sie zu sehen.”  6 Wochen musste ich auf einen freien Termin warten, dazwischen hatte die Frau Doktor urlaub und sonst lasse ich definitiv niemanden an mich heran. Ihren Kompagnon im Notdienst vor 5 Wochen habe ich wütend weggeschoben, als er mir in den Mund schauen wollte, kein Vertrauen. Er war ziemlich sauer, verständlich bei 40 Grad im Schatten am Samstag Nachmittag. Aber es ging nicht anders.

“Oh, der ist ja blöd abgebrochen”, sagt die Ärztin, “Ganz blöd. Wann müssen sie denn wieder singen ? ” Ich : “Ende des Monats”. “Hmm.”

 

Während der Gespräche mit meiner Therapeutin über die Ursachen meiner Angst habe ich viel gelernt. Unter anderem, die Angst nicht übermächtig werden zu lassen. Ich habe die Betäubungspritzen, vor denen ich glücklicher und kurioser Weise überhaupt keine Angst habe, erhalten und warte nun, dass Ärztin und Helferin zurück kommen um mich zu befreien.

 

“Ich atme ein, ich atme aus”  sage ich zu mir selbst. Und mein persönliches “Mantra”, mein positives Protokoll, dass ich im Laufe der Therapiesitzungen mit Hilfe meiner Therapeutin  für mich entwickelt habe:

 

“Sie ist ein Profi, sie kriegt es hin.”

 

Die beiden erscheinen 20 Minuten später und ich bin erstaunlich ruhig. Fast tiefenentspannt. Es lebe die Verhaltenstherapie !

 

Routiniert setzt die Ärztin an, der Zahn sitzt fest. Sie muss viel Kraft aufbringen und einen Moment lang denke ich, es ist zu viel. Die beiden unterhalten sich während der Zahn aus meinem Kiefer gehebelt wird :

“Ja, das Kurioseste was ich mal im ambulanten Dienst erlebt hab,” sagt die Helferin die offensichtlich nicht immer beim Kieferchirurgen gearbeitet hat ” war ein Opa, dem der kleine Finger amputiert werden musste.” Die Ärztin benutzt verschiedene Instrumente, es knirscht etwas. “Ach, ja ?!” antwortet sie. ” Ja. Er sagte, ach, der stört nur noch , nehmen sie ihn einfach ab.”  höre ich  die Stimme an meinem linken Ohr. Die Ärztin hebelt den Zahn nach rechts. dann nach oben. Die Ärztin antwortet : ”  Ja, und was habt ihr mit den Sehnen gemacht, die dann raushängen? ”  sie hebelt den Zahn  wieder nach links. ” Gleich haben sie es geschafft, Frau Werker. ”  Ich denke ” gleich geschafft.”

 

Was die Helferin geantwortet hat, also was sie mit den Sehnen von Opa´s Finger gemacht hat, daran kann ich mich nicht erinnern, der Zahn war im selben Moment draußen. Eine Sekunde später weine ich wieder, dieses mal vor Erleichterung.

 

Den Zahn  lasse ich  mir  steril einschweißen, als Erinnerung. Ein kleiner, weißer Zahn mit zwei schönen Wurzeln, doch vom Rest war nichts übrig. Gut, dass er raus ist. ” Sehen sie, was sie alles schaffen”, ruft die Dame am Empfang mir hinterher. Sie hat mir, als ich vor 5 Wochen im Notdienst da war, den Kiefer geröntgt und miterlebt, wie ich in Tränen ausbrach. Sie und ich alleine in dem kleinen Raum, und meine Tränen liefen einfach runter. Ein merkwürdiges Gefühl, befreiend und ohnmächtig zugleich, als erwachsene Person einfach die Fassung zu verlieren. Jetzt wünscht sie mir gute Besserung. Da ich nicht sprechen kann, hebe ich den Arm zum Gruss und nicke ihr aufrichtig dankbar zu.

 

Meinen Corsa lasse ich stehen und gönne mir für 13 Euro ein Taxi nach Hause. Die Ärtzin hat ziemlich gut betäubt.

 

Ich lache, ich weine. Jetzt fängt mein Leben an.


Das kleine Tier.

26. Juni 2013

…am vergangenen Freitag war ich gedanklich schon wieder 10 Schritte vorraus, als gegen 16 Uhr am Nachmittag meine Tochter aufgeregt an der Tür klingelt:

 

“Mama, da sitzt so ein kleines Tier auf dem Spielplatz”.

Nach kurzem Wortwechsel komme ich mit nach draußen, es ist kalt. Die Wiese ist nass vom vielen Regen, der Himmel bedeckt.

 

Neben der Sandkiste auf dem Spielplatz vorm Haus sitzt ein kleines, weißes Fellknäuel, etwa so gross wie eine Kinderhand. Das Fell struppig und nass, Blut und Bissspuren im Nacken, es zittert, ringt ganz offensichtlich mit dem Tode. Meine Tochter und ihre beiden Freunde, die Kinder aus dem Nachbarshaus, hocken drum herum um begutachten das kleine Etwas. Eine Hausratte. Winzig klein. Und es sieht wirklich sehr, sehr mitgenommen aus.

 

“Mama, es ist ist verletzt”. Es wird sterben wenn wir es hier draußen lassen, so viel ist klar. Vielleicht ist ausgesetzt   und von einer Katze geschnappt worden. Wir haben auch zwei Katzen. Ich stöhne. “Hm , ja, es wird sterben, ganz sicher, wenn wir es hier lassen. Wartet, ich hole einen kleinen Karton.”

 

Ich mag eigentlich keine Hausratten, denke sie sind vielleicht schmutzig und haben Krankheiten. meine Tochter weiß das. Außerdem habe ich genug Arbeit am Hals. Und dann auch noch ein Nagetier in der Wohnung ? !

Drinnen ziehe ich mir die gelben Gummihandschuhe an, die ich zum putzen nehme, weil ich mir nicht sicher bin, ob das Tier Krankheiten hat. Dann gehe ich raus und lege es mit einer schnellen Bewegung in den Karton. Was machen wir jetzt? Ich frage eine Nachbarin, die ein Gehege voller Meerschweinchen im Garten hat. Die winkt ab,  noch mehr Tiere kann sie nicht aufnehmen. Schon gar keine Ratte.

 

Also nehmen wir es mit hinein. Ich rufe den Tierschutzbund an. Es sieht nicht gut aus, das Tier stirbt vielleicht. Nur der Anrufbeantworter. Die Nagernotstation? Nimmt keine Hausratte, die vielleicht stirbt. Die Wildtierstation? Nimmt keine Hausratte, außer als Lebendfutter für die Eulen. Der Tierarzt im Ort ruft von hinten  “18 Euro  50 für die Untersuchung und Einschläfern.” in den Hörer. Seine Assistentin ist am Telefon.

 

Seit 2 Stunden sitzt das Tier nun zusammengekauert und ohne jede Energie in dem Karton. Meine Tochter kämpft. "Vielleicht wird es gesund, Mama."  Drängelt mich, etwas zu tun. Wir gehen zu dm und kaufen ein wenig Streu, legen die Katzentransportbox damit aus. Als  das Tier die Einstreu unter den Pfötchen spürt, wird es für ein paar Sekunden lebendig. Es will nicht sterben.

 

Ich erinnere mich an die Male, in denen ich auch nicht sterben wollte. An die Situationen, wo jemand für mich und um mich gekämpft hat. An die beiden Katzen, um die ich mich vor mehr als 20 Jahren nicht mehr kümmern konnte, in dem Jahr als mein Vater starb und ich ein halbes Jahr später auf der Strasse saß, vollkommen paralysiert von alldem, was einem im Leben so passieren kann, wenn sich niemand um einen kümmert. Bis heute kämpfe ich mich davon ins Leben zurück.  Ich schlucke. “Ja, du hast recht, wir müssen es wenigstens versuchen.”

 

Ich rufe den anderen Tierarzt  im Ort an, der sagt “Kommen sie vorbei ” .

 

Beim Arzt angekommen hat meine Tochter einen Namen für die Ratte : “Snowy”. So hieß die kürzlich im biblischen Alter verstorbene weiße Perserkatze einer Bekannten, bei der wir in Hamburg mal übernachtet haben. “Es hat schon einen Namen.” sage ich zu dem Arzt, der davon ausgeht, dass wir nur kommen, um die Ratte einschläfern zu lassen.

 

Snowy uriniert vor Angst auf den Untersuchungstisch, zeigt aber Lebenswillen, gibt Laute von sich.  Ich sage “Es sieht nicht aus, als ob es sterben will.” “Nein,” sagt auch der Arzt. Statt einer Einschläferungsspritze für Ratten , die keiner haben will, gibt er dem Kleinen eine Vitaminpaste. Krankheiten hat es nicht. Doll verletzt ist es auch nicht. Nur sehr kalt kommt es dem Arzt vor. “Wenn es in drei Tagen nicht besser wird, also bis Montag,  kommen sie vorbei, dann müssen wir es erlösen.” Ich sage :  “Danke.”

 

Zu Hause fülle ich heißes Wasser in den Gummihandschuh, als Wärmeflasche. Meine Tochter findet einen alten Taschenwärmer aus Plastik, den man in kochendem Wasser immer wieder aufladen kann. “Ihm ist kalt”, sagt meine Tochter und legt den Taschenwärmer alle 30 Minuten in das kochende Wasser, dann zu Snowy in das Häußchen, das wir im aus dem umgedrehten Schuhkarton gebastelt haben. Snowy setzt sich zusammengkauert auf den Taschenwärmer. “Ich google mal, was Ratten so fressen.” sage ich. Kranke Ratten brauchen Babynahrung. Die kaufen wir im Supermarkt.

 

Am nächsten Morgen sind die Wunden am Hals schon halb verheilt und Snowy humpelt auch nicht mehr. Den ganzen Deckel voll Babybrei Apfel und Banane hat er oder sie, das wissen wir noch nicht, aufgeschleckt.

“Oh”,sage ich, “Snowy hat gegessen”. Nachts lege ich eine Decke über den Käfig, gegen die Zugluft.

 

Wir müssen an dem Montag nicht mehr zum Tierarzt. Snowy geht es wieder gut. Er  oder sie mag am liebsten Banane, kuschelt sich auch gerne unter meinen Pullover, ist überhaupt nicht schmutzig und ganz lieb. Er beißt nicht. Seine Schnurrhaare sind Sternenförmig und kitzelig und  er kommt schon an die Gitterstäbe des Käfigs, wenn ich mich hinsetze und mit ihm spreche.

 

Dann muss ich lachen, wie er so herumschnüffelt, wer ich wohl bin, sich ein stückchen Banane nimmt und damit in seiner Mulde verschwindet, die er sich gegraben hat. Er schläft jetzt ganz kuschelig eingerollt, anstatt nur zitternd in der Ecke zu kauern. Von der Wunde ist nichts mehr zu sehen.

 

Er braucht jetzt einen Kumpel, weil man Ratten nicht alleine halten soll, aber dazu müssen wir erst mal herausfinden, ob er ein Junge oder ein Mädchen ist. Einen größeren Käfig brauchen wir natürlich auch. und einen Aushang sollten wir machen, ob ihn vielleicht jemand vermisst.

 

Zwei Wochen später finde ich für Snowy in einem Rattenfreundeforum einen Platz in einer Hausratten WohnGruppe. Im Heimtierdiscount kaufe ich für 8 Euro 90  eine Transportbox extra für Kleintiere und fahre mit Snowy nach Krefeld, wo ich ihn in sein neues Zuhause Übergebe. Die Frau ist sehr nett.

 

Snowy ist übrigens ein Mädchen, wie wir später erfahren haben.


Die Katze.

26. April 2013

In den 80 iger Jahren, als ich ein Mädchen war, war Tennis sehr populär. Die Turniere liefen in der besten Sendezeit im öffentlich rechtlichen Fernsehen. Es war die Zeit von Lendl, Becker, Mcenroe, Connors. Viele Samstage saßen wir vor dem Fernseher und zählten 00:15, fiveteen all….

 

Einer dieser Spieler hatte es mir besonders angetan, obwohl – oder gerade weil – er es nie bis ganz an die Spitze geschafft hat: Miloslav Mecir, der wegen seiner geschmeidigen Spielweise  auch “die Katze” genannt wurde.

 

Man konnte es deutlich sehen, wenn er auf dem staubigen Platz hin und her lief: dieser Mann war ein sehr  fein-fühliger, gebildeter Mensch.

 

Technisch war er so gut wie alle anderen top Spieler, doch er hatte etwas, das ihn von allen anderen Unterschied: er hatte Angst. Angst, zu siegen. Nie werde ich diese Liveübertragung vergessen, obwohl ich  heute nicht mehr sagen kann, gegen wen er spielte (Lendl vermutlich)  und um welchen Titel  es sich gehandelt hätte (Australian Open, vielleicht…) : Er stand, nach vielen Jahren, endlich im Finale eines Weltklasseturniers und hatte Matchpoint. Ein Punkt mehr und er wäre nicht mehr der ewige Zweite gewesen, sondern der Beste.

 

Doch Mecir schaffte es nicht. Er hatte eine derartige Angst, zu gewinnen, dass er vor Nervösität nichts mehr zustande brachte. All sein Können bröckelte von ihm ab bis er  – wie ein absoluter Anfänger – vor einem Millionenpublikum an den Bildschirmen seinen Aufschlag von unterhalb der Hüfte spielte (!), um überhaupt den Ball zu treffen.  Er verlor dieses Match.

 

Ich erinnere mich genau, wie ich die Luft anhielt und diesen Menschen innerlich umarmte, dessen Tenniskariere ich zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre verfolgt hatte. Dieses Bild brannte sich für immer in meine Erinnerung und damals ” liebte ” ich diesen weichen, etwas melancholischen Spieler, der so anders war als all die fluchenden, Schläger auf dem Boden werfenden,oder völlig beherrschten Topfavouriten, nach seiner Niederlage noch mehr als vorher.

 

Und heute weiß ich auch , warum: weil ich genauso bin. Ich habe Angst , zu siegen. Wenn ich meinen Matchpoint habe, fangen meine Hände an zu zittern, all die Jahre auf Bühnen , all die Arbeit an mir und in mir hat nichts daran geändert.  Ich sehe die Ziellinie, weiß, dass ich siegen kann  und verliere im gleichen Moment die Nerven. Alles weg. Alle Songtexte, alle Akkordfolgen, einfach nur ein Vakkum in meinem Kopf. Gücklicherweise bin ich damit nicht alleine und weiß mittlerweile, dass sich dieses Vakuum wieder füllt, sobald ich den ersten Akkord spiele. Aber eine Zeitlang wußte ich das nicht und sagte vor lauter Angst Auftritt im letzten Moment ab.

 

Glücklicherweise gibt es Filme, die genau dieses, viele Schichten um Schichten der menschlichen Persönlichkeit umfassende Thema behandeln und aus denen ich dann lernen kann : wie zum Beispiel Birdman. Michael Keaton, der Anfang der 90 iger den Batman spielte und damit weltberühmt wurde, spielt hier eine gealterten Filmstar, der sich 15 Jahre zuvor weigerte , nochmal der Birdman zu sein und nun versucht, mit einem Broadway Theaterstück Fuss zu fassen. Der Film begleitet Birdman durch die Vorpremieren und zeichnet ein wirklich grandioses Bild dessen, was sich hinter den Kulissen eigentlich abspielt.

 

Keaton erhielt unmengen von wirklich hochrangigen Preisen für diese Darstellung, unter anderem die erste Oscarnominierung seiner bis dahin 30 Jahre dauernden Karriere.

 

Der gesamte Soundtrack des Films besteht übrigens aus einem Schlagzeugsolo.

Darauf muss man man erst mal kommen.